Kolumbien-aktuell No. 553 und Monatsbericht | November 2015

Liebe Leserinnen und Leser Die beiden Artikel widmen sich diesen Monat Gemeinschaften, die entweder von der Präsenz paramilitärischer Gruppierungen oder den Gebaren des Unternehmens Cerrejón herausgefordert werden. Für die ask! zeichnet sich eine schwierige Finanzlage auf Ende Jahr ab. Über kleine und grössere Spenden, namentlich für den Newsletter, freuen wir uns auf das Postkonto 60-186321-2. […]

Liebe Leserinnen und Leser

Die beiden Artikel widmen sich diesen Monat Gemeinschaften, die entweder von der Präsenz paramilitärischer Gruppierungen oder den Gebaren des Unternehmens Cerrejón herausgefordert werden.

Für die ask! zeichnet sich eine schwierige Finanzlage auf Ende Jahr ab. Über kleine und grössere Spenden, namentlich für den Newsletter, freuen wir uns auf das Postkonto 60-186321-2.

Solidarische Grüsse aus der Redaktion!

I.  Artikel Paramilitärische Gruppierungen im Aufschwung

In der Region Urabá im Nordwesten Kolumbiens melden Gemeinschaften und Menschenrechtsorganisationen eine Verstärkung der Präsenz von paramilitärischen Gruppierungen. Vielerorts tauchen diese nach Jahren erneut auf. Eine Analyse der kolumbianischen Menschenrechtsorganisation Indepaz kommt zum Schluss, dass in jeder dritten Gemeinde Kolumbiens paramilitärische Strukturen präsent sind – eine grosse Herausforderung für den Friedensprozess.

(Von Regula Fahrländer)

http://www.askonline.ch/themen/friedensfoerderung/konfliktdynamik-und-bewaffnete-akteure/paramilitaerische-gruppierungen-im-aufschwung/

Update zur Situationen in umgesiedelten und indigenen Gemeinschaften im Einflussbereich der Kohlenmine El Cerrejón

Die Arbeitsgruppe Schweiz Kolumbien ask! begleitet seit vielen Jahren verschiedene Gemeinschaften im Einflussbereich der Kohlenmine El Cerrejón, die zu einem Drittel dem Schweizer Rohstoffkonzern Glencore gehört. Die ask! reiste gemeinsam mit dem obersten Glencoremanagement – angeführt von CEO Ivan Glasenberg – und 2 VertreterInnen aus dem Säuliamt im März 2015 nach Kolumbien, um die Situation in den verschiedenen Gemeinschaften im Einflussbereich von Glencore und Cerrejón zu begutachten. Das vorliegende Update schildert die Situation in den Wayúu-Gemeinschaften Tamaquito und Provincial sowie in der afrokolumbianischen Gemeinschaft Roche. Tamaquito und Roche kämpfen mit den Folgen einer schlechten Umsiedlungen, v.a. mit Wassermangel und fehlenden produktiven Projekten, ein Teil der BewohnerInnen des alten Roche ist vor kurzem einer Enteignung entgangen. Provincial führte einen aussergerichtlichen Verhandlungsprozess mit dem Unternehmen Cerrejón durch, um Entschädigung für 30 Jahre negative Folgen des Bergbaus zu erhalten, musste schlussendlich aber unter grossem Druck ein unbefriedigendes Abkommen unterzeichnen

(Von Stephan Suhner)

http://www.askonline.ch/themen/wirtschaft-und-menschenrechte/bergbau-und-rohstoffkonzerne/el-cerrejon-und-xstrata/provicial-und-tamaquito/

II. Monatsbericht: Jede Kolumbianerin und jeder Kolumbianer muss sich um Frieden bemühen. Ein Interview mit John Paul Lederach

Frieden ist kein unterschriebenes Abkommen zwischen der kolumbianischen Regierung und den Farc. Frieden wird gemacht, wenn jede und jeder KolumbianerIn respektvoll mit Unterschieden umgeht und konstruktive Beziehungen zu anderen aufbauen, auch mit jenen die er oder sie während eines halben Jahrhunderts nicht anhören wollte oder konnte. Dieser Meinung ist John Paul Lederach, anerkannter Friedensexperte, Spezialist in Mediation und Berater von Friedensverhandlungen in mehreren Konflikten weltweit. Seit den 80er Jahren begleitet Lederach diverse Basisbewegungen in verschiedenen Regionen Kolumbiens und unterstützt die Regierungsstelle für Frieden (El Alto Comisionado para la Paz) in ihren Bemühungen um regionale Friedensförderung, ohne die eine Umsetzung jeglicher Abkommen unmöglich ist.

(Von Daniel Salgar Antolínez, übersetzt von Regula Fahrländer)

http://www.askonline.ch/publikationen/monatsberichte/jede-kolumbianerin-und-jeder-kolumbianer-muss-sich-um-frieden-bemuehen/

III. Apropos Regierung und FARC wollen die Suche nach Vermissten vorantreiben

Am 17. Oktober hat der Verhandlungstisch auf Kuba eine weitere Vereinbarung bekannt gegeben. Der erste Teil der Vereinbarung bestimmt immediate, humanitäre Massnahmen zur Suche, Ortung und Identifikation der Verschwundenen, um somit möglichst bald eine würdevolle Übergabe ihrer sterblichen Überreste an ihre Familien zu ermöglichen. Dies soll auch mit Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) geschehen. Dafür übergeben Regierung und FARC alle ihnen zur Verfügung stehenden Informationen ans IKRK und sichern der Organisation ihre Hilfeleistungen zu. Im nächsten Schritt erstellt das IKRK zusammen mit dem nationalen Institut für Gerichtsmedizin einen Massnahmenplan. Auf Unterstützung können sie auch von Seiten der Staatsanwaltschaft zählen. Die Regierung ihrerseits hat sich dazu verpflichtet, die Identifizierung der NN, nicht identifizierter Tote, die ohne Namen auf Friedhöfen in Konfliktregionen beerdigt wurden, voranzutreiben.

Der zweite Teil des Abkommen beinhaltet die Gründung einer speziellen Behörde zur Suche Vermisster nach Abschluss des Gesamtabkommens auf Kuba – die Unidad especial para la búsquedad de personas dadas por desaparecidas, UBPD. Diese Behörde soll hauptsächlich die Koordination bei der Suche der Vermissten übernehmen und die Arbeit der kurzfristigen Massnahme in ein nationales, langfristig angelegtes Programm umwandeln.

Das Abkommen ist ein wichtiger Schritt beim Streben nach Recht auf Wahrheit aller Familienangehörigen von Verschwundenen und stösst eine Tür zu einem dunklen und bisher wenig beleuchteten Kapitel der kolumbianischen Geschichte auf. Erst Anfangs November hatte die Staatsanwaltschaft neue Schätzungen über die Anzahl der Verschwundenen in Kolumbien bekannt gegeben: die aktuellste Zahl beläuft sich auf 117‘646 Menschen. Beinahe ebenso hoch ist die Zahl der ungeklärten Fälle.

https://www.mesadeconversaciones.com.co/comunicados/comunicado-conjunto-62-la-habana-17-de-octubre-de-2015?ver=es

http://www.elespectador.com/noticias/politica/tras-ruta-de-los-117646-desaparecidos-colombia-articulo-597098

Verfassungshof ebnet Weg für Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare

Dank eines historischen Urteils des Verfassungshofes soll in Kolumbien künftig Homosexualität kein Ausschlusskriterium für Adoptionen mehr sein. In der Praxis heisst das, homosexuelle Paare können genauso wie heterosexuelle Kinder adoptieren. Mit 6 zu 2 Stimmen hat sich der Verfassungshof dafür entschieden. Dabei argumentiert er vor allem mit dem Kindswohl. Alle Kinder hätten das Recht auf Familie, und dabei dürfe die sexuelle Orientierung kein Kriterium sein.

Dies ist ein grosser Schritt für die LGBTI-Gemeinschaft im Kampf für ihre Rechte, und überhaupt kein unumstrittener. Die Odyssee begann 2011: Damals sprach sich der Verfassungshof für die gleichgeschlechtliche Ehe aus, was rechtlich auch die Adoption beinhalten würde. Innerhalb von zwei Jahren sollte der Kongress die Umsetzung ausformulieren, was dieser jedoch nie tat und damit ein Interpretationsraum für RichterInnen und Notare schuf. Infolge davon verheirateten progressive RechtsinterpretInnen insgesamt etwa 40 Paare, andere verweigerten die Umsetzung. Nachdem die Staatsanwaltschaft Antrag auf Auflösung der geschlossenen Ehen gestellt hat, muss das Verfassungsgericht nun erneut über die Eheschliessung entscheiden. Die Adoption wurde mit dem Verfassungsgerichtsentscheid vorneweg genommen.

http://www.colombia-diversa.org/p/adopcion.html

http://www.semana.com/nacion/articulo/corte-constitucional-aprobo-la-adopcion-gay/448636-3

Die UNO alarmiert: 2015 wurden bereits mehr MenschenrechtsverteidigerInnen umgebracht als im jährlichen Durchschnitt der letzten 20 Jahren

Seit 1997 führt die UNO ein Register über die Angriffe und Überfälle auf MenschenrechtsaktivistInnen. Dabei wurden zwischen 1994 und 2015 insgesamt 729 Fälle aufgeführt, was einem Jahresdurchschnitt von 33 gleichkommt. So gut wie alle dieser Fälle bleiben in der Straflosigkeit.

2015 wurden bereits in den ersten neun Monaten 30 Morde und 20 Mordversuche registriert. Dies zeigt, so die UNO, dass sich MenschenrechtsaktivistInnen in Kolumbien noch immer in einem ihnen feindlichen und unsicheren Umfeld befinden. Mit drei neuen Tötungsdelikten im November, namentlich der Ermordung von John Jairo Ramírez, einem Gemeinschaftsführer aus Buenaventura, Daniel Abril, einem Bauer und Umweltaktivist aus Orinoquia und Luis Francisco Hernandez González, Opfervertreter aus Tierralta im November ist das Jahr bereits über dem Schnitt.

Laut der UNO tut der kolumbianische Staat nicht genug, um den MenschenrechtsverteidigerInnen das Recht auf Leben, persönliche Integrität und die freie Berufsausübung zu garantieren. Deshalb werden alle staatlichen Instanzen, die mit dem Schutz der MenschenrechtsverteidigerInnen zu tun haben, dazu aufgerufen, endlich effektive materielle und politische Massnahmen zu ergreifen, um das Risiko zu senken. Dazu sind auch juristische Untersuchungen der Staatsanwaltschaft notwendig, welche die Verantwortlichen identifiziert und zur Rechenschaft zieht.

http://www.hchr.org.co/publico/comunicados/2015/imprimir.php3?texto=onu-ddhh_Comunicado_Homicidio_defensores_derechos_humanos_2015.txt

Nationaler Friedenspreis geht an ein Frauenkollektiv aus Montes de Maria

Der Verein für ein würdevolles und solidarisches Leben (Asociación para la Vida Digna y Solidaria – Asvidas) aus Montes de María hat am 18. November mit seiner Initiative “Mujeres Tejiendo Sueños y Sabores de Paz de Mampuján” den nationalen Friedenspreis in Kolumbien gewonnen. Dieser Preis wird seit 1999 vergeben, um die Wichtigkeit von Friedensinitiativen, die Aufarbeitung der Vergangenheit, die Unterstützung der Opfer und Versöhnung in Kolumbien hervorzuheben.

Die Initiative ‘Mujeres Tejiendo Sueños y Sabores de Paz de Mapuján’ wurde nominiert, weil sie zur physischen und psychischen Genesung der Überlebenden beiträgt und so einen Ausgangspunkt schafft, um die Vergangenheit aufzuarbeiten, Erinnerungen zu verarbeiten und ein neues Zusammenleben zu fördern. Die Frauen von Asvidas stricken und nähen ihre Vergangenheit in Wandteppiche aus Stoff. Sie kommen zusammen, und während sie die Erlebnisse zu Bildern machen, unterstützen sie sich gegenseitig. Jede Frau trägt ein Stück Erinnerung dazu bei, bis dass der gemeinsam erarbeitete Wandteppich eine Geschichte erzählt, einen Auszug davon, was in Mampuján geschehen ist. Mampuján ist eine afrokolumbianische Bauerngemeinschaft, die im März 2000 gewaltsam von Paramilitärs vertrieben wurde. Dabei wurden alle Häuser zerstört und 245 Familien ihrer Habseligkeit, ihres Grundstücks und ihrer traditionellen Lebensweise beraubt.

In der Kategorie „Persönlichkeit“ hat der ehemalige Marinegeneral Rafael Alfredo Colón den Preis gewonnen. Er setzt sich heute für die Entminung des Landes ein, wozu er immer wieder mit den Farc zusammenarbeiten muss. Dabei vertritt er stark die Meinung, dass Vergeben die Voraussetzung für Versöhnung und eine friedlichere Zukunft ist.

http://www.elcolombiano.com/mujeres-de-mampujan-ganan-premio-nacional-de-paz-CB3146136

http://www.cromos.com.co/hoy-historias-cronicas/las-tejedoras-de-mampujan-la-fuerza-femenina-del-perdon-16675

Rechte von Indigenen und AfrokolumbianerInnen sind höher zu gewichten als Profit

Die kolumbianische Regierung muss die Rechte von indigenen und afrokolumbianischen Völkern höher gewichten als wirtschaftliche Interessen, fordert Amnesty International im Bericht «Land zurückgeben, Frieden sichern». Anstatt gestohlenes Land für den Profit freizugeben, sollte sie den angestammten Gemeinschaften die Chance geben, das Land zu bewirtschaften.

Im publizierten Bericht stellt Amnesty fest, dass Vertreibungen und Enteignungen in Regionen, die ein Potenzial für Bergbau und andere wirtschaftliche Investitionen aufweisen, besonders häufig sind. In den vergangenen Jahren hat die kolumbianische Regierung grosszügig Lizenzen an Bergbaukonzerne und andere wirtschaftliche Akteure vergeben. In vielen Fällen handelte es sich dabei um Land von indigenen und afrokolumbianischen Gemeinschaften. Diese wurden meist weder angemessen informiert und befragt, noch wurde ihr Einverständnis für die Vergabe der Lizenzen eingeholt

Weiterlesen unter https://www.amnesty.ch/de/laender/amerikas/kolumbien/dok/rechte-von-indigenen-und-afrokolumbianern-sind-hoeher-zu-gewichten-als-profit

IV. Tipps und Hinweise Algún Día es Mañana – Filmvorführung

Peace Watch Switzerland (PWS) organisiert in Zusammenarbeit mit den „FilmTagen Luzern: Menschenrechte“ die Vorführung des Films „Algún Día es Mañana“ über die Gemeinschaft in Las Pavas, die seit langem von PWS-Freiwilligen begleitet wird und sich gegen einen grossen Agro-Konzern zur Wehr setzt. Anschliessend Diskussion mit dem Regisseur Ricardo Torres.

Samstag, 5. Dezember 2015, 11 Uhr, stattkino Luzern.

http://www.peacewatch.ch/Kolumbien-Aktuell.new-detail0.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=476&cHash=c04962f20bc7a4d7a6f20c8fc85c54f5

La Buena Vida – Filmvorführung

Der Film erzählt den Kampf der indigenen Wayúus um ihr Dorf Tamaquito, das in den Sog der Globalisierung gerät. Ihre Gemeinschaft ist zunehmend vom Kohletagebau mächtiger Rohstoffkonzerne wie Glencore, Anglo American und BHP Billiton bedroht. Anschliessendes Filmgespräch mit Dominique Rothen der ask!.

Mittwoch 9. Dezember 2015, 18 Uhr. Odeon Brugg, das Kulturhaus beim Bahnhof, Bahnhofplatz 11, 5200 Brugg.

http://www.askonline.ch/veranstaltungen/

Redaktion: Regula Fahrländer

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