Zehn Thesen über den Wandel des Konflikts in Kolumbien – eine Replik

Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien Eine Replik der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien ask zu den zehn Thesen der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Von Bruno Rütsche – Fachstellenleiter Frieden und Menschenrechte der ask Im November 2008 veröffentlichte die Konrad-Adenauer-Stiftung einen Länderbericht zu Kolumbien von Dr. Carsten Wieland mit dem Titel „Zehn Thesen über den Wandel des Konflikts in Kolumbien“.[1] Darin werden Aussagen gemacht, […]

Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien

Eine Replik der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien ask zu den zehn Thesen der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

Von Bruno Rütsche – Fachstellenleiter Frieden und Menschenrechte der ask

Im November 2008 veröffentlichte die Konrad-Adenauer-Stiftung einen Länderbericht zu Kolumbien von Dr. Carsten Wieland mit dem Titel „Zehn Thesen über den Wandel des Konflikts in Kolumbien“.[1] Darin werden Aussagen gemacht, die von grosser politischer Tragweite sind und direkte Folgen in Bezug auf die Gültigkeit und die Anwendung von internationalem Recht haben. Die Thesen gehen in mehreren Punkten von historisch falschen Voraussetzungen aus. Obwohl in der Einleitung gesagt wird, man verwende „Termini auf einer akademischen Ebene, um zu vermeiden, mit diesen Begriffen in die politische polarisierte Diskussion hineinzugeraten“, sind die Thesen eine politische Stellungnahme zur Unterstützung der Politik der demokratischen Sicherheit der Regierung Uribe.

Diese Gründe bewegen die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien ask eine Replik den Thesen gegenüber zu stellen.

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Das Fazit voraus:
Die Thesen der Konrad-Adenauer-Stiftung KAS untermauern theoretisch und konzeptionell die „Politik der demokratischen Sicherheit“ des kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe Vélez als einen legitimen, angemessenen und demokratisch legitimierten Weg zur Stärkung des Rechtsstaates. Gleichzeitig wird der Konflikt in Kolumbien als ein Konflikt zwischen einem rechtsstaatlichen, demokratischen und legitimen Staat und Verbrecherbanden, Kriminellen, Drogenhändlern oder Terroristen definiert. Ein legitimer Staat steht in Konfrontation mit dem organisierten Verbrechen und dem Terror. Damit wird das internationale Völkerrecht ausgehebelt und dem Konflikt eine politisch-soziale Motivation abgesprochen. Daraus resultiert als politische Konsequenz für die Europäische Union und die Staatengemeinschaft: Stützung, Zusammenarbeit und Stärkung der Regierung in ihrem Kampf gegen Verbrechen und Terror. Explizit wird der Konflikt Kolumbiens auf die gleiche Stufe gestellt, wie die Auseinandersetzungen Brasiliens oder Mexikos mit dem organisierten Verbrechen.

Die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien ask teilt diese Sicht in keiner Weise. Wir nehmen aus diesem Grund zu einigen Thesen ausführlicher Stellung.
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Erste These der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS)
In der ersten und zentralen These wird hergeleitet, dass sich die Qualität des Konfliktes in Kolumbien verändert habe. Dabei wird von einer Endphase des klassischen Konfliktes mit drei Akteuren ausgegangen, welche folgendermassen charakterisiert werden: 1. Ein schwacher Staat, 2. Guerilla-Gruppen und 3. Paramilitärs. Dabei wird gesagt, dass Guerilla und Paramilitärs ihre Legitimität von der Existenz des jeweils anderen ableiteten.

Die politisch-militärische Erosion durch den Tod von drei Schlüsselfiguren der FARC-Führung und die Befreiung von Ingrid Betancourt im Jahr 2008 einerseits und die Demobilisierung der paramilitärischen Verbände AUC im Rahmen des Gesetzes Gerechtigkeit und Frieden andrerseits, habe den Konflikt verändert. Jetzt stünden sich nicht mehr drei, sondern zwei Akteure gegenüber: 1. Ein Staat mit einem gewachsenen Vertrauen auf allen Ebenen und 2. Eine Vielzahl von Gruppen, die sich als Verbrecher, Kriminelle, Drogenhändler oder Terroristen bezeichnen lassen. Keine dieser illegalen Gruppen besitze mehr eine wahrhaftige politische Plattform.

Weiter wird in der These von einem „insgesamt erfolgreichen Friedensprozess“ mit den Paramilitärs gesprochen, wobei bei einem Konflikt solcher Grössenordnung „kolaterale Defizite selbstverständlich“ seien. Das Gesetz Gerechtigkeit und Frieden, welches den rechtlichen Rahmen der Demobilisierung der Paramilitärs bildet, wird als ein guter, pragmatischer Mittelweg zwischen Amnestie und Straflosigkeit und einem „juristischen Maximalismus“ bezeichnet. Explizit wird festgehalten, es sei „kein Gesetz der Straffreiheit“, wie es „viele Kritiker glauben machen wollen“.

Zum Schluss der These wird als eine neue Komponente des Konflikts „die massive Beteiligung der Zivilgesellschaft“ erwähnt. Dabei kommt auch die Polarisierung der kolumbianischen Gesellschaft zur Sprache und wird als ein „eigenständiges Merkmal des klassischen Konflikts, wie die Stigmatisierung von Andersdenkenden“ bezeichnet.

Replik zur Ersten These
1. Es wird von einer historisch falschen Grundannahme ausgegangen

Ausgangspunkt der Ersten These ist die Annahme eines Konfliktes mit drei Akteuren. Diese weit verbreitete und meist unhinterfragt übernommene Annahme ist historisch falsch.

Bereits zu Beginn der 60er Jahre und noch vor der Existenz der Guerillabewegungen wurde von den USA im Namen der Doktrin der Nationalen Sicherheit der Aufbau von paramilitärischen Verbänden zur Aufstandsbekämpfung empfohlen. In Kolumbien wurde die Schaffung von paramilitärischen Verbänden im Jahr 1965 per Dekret[2] beschlossen und im Jahr 1968 durch das Gesetz 48 in die permanente Gesetzgebung aufgenommen. Diese Gesetze waren bis 1989 gültig und wurden erst dann auf massiven Druck nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen aufgehoben.[3] Das heisst – und lässt sich durch eine Vielzahl von Zeugenaussagen und Dokumenten belegen – dass der Staat die paramilitärischen Verbände geschaffen, ihnen eine rechtliche Grundlage gegeben, sie ausgebildet, mit Waffen ausgestattet, mit ihnen zusammen gearbeitet, ihre Verbrechen toleriert und ihnen Straffreiheit garantiert hat. Diese unbequeme, aber durch umfangreiches Beweismaterial belegte historische Wahrheit, zeigt folgendes: 1. Der Staat ist für die Schaffung und die Erstarkung der paramilitärischen Verbände politisch verantwortlich; 2. Die paramilitärischen Verbände sind keine „spontanen Selbstverteidigungsorganisationen“ gegen die Guerilla. Die Aktionen der Paramilitärs waren auch nie direkt gegen die Guerilla gerichtet, sondern immer gegen deren vermeintliche „soziale Basis“, d.h. die bäuerliche, indigene, afrokolumbianische Bevölkerung, die sozialen Basisorganisationen und deren Führungsleute und die politische Opposition, wie z.B. die Union Patriotica; 3. Wir haben es im kolumbianischen Konflikt also nicht mit drei Akteuren zu tun (gehabt), sondern mit zwei Kontrahenten: Einem Staat, welcher verdeckte, verbrecherische Organisationen schuf und mit ihnen zusammen arbeitet(e) und aufständischen Organisationen. Die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien ask hat noch vor der Aufnahme von Verhandlungen mit den Paramilitärs in einem Positionspapier dargelegt, warum nicht von drei Akteuren gesprochen werden kann und warum der Staat nicht legitimiert ist, mit den Paramilitärs „Friedensverhandlungen“ aufzunehmen.[4]

Es ist genau diese zentrale Frage nach der Verantwortlichkeit des Staates (Politik, Militär, Justiz, etc.) in Bezug auf den Paramilitarismus, welche durch die These der drei Akteure und der Darstellung des Paramilitarismus als unabhängigen dritten Akteur verschleiert, verdeckt und in Abrede gestellt wird. Der Staat wird als Opfer zwischen Guerilla und Paramilitärs dargestellt. Der Parapolitik-Skandal, die Auslieferung der wichtigsten paramilitärischen Führungspersonen an die USA und die strukturelle, systematische Schwäche, ja Ohnmacht der Justiz, welche die Verbrechen der Paramilitärs untersuchen sollte, zeigen, dass der Staat weiterhin alles daran setzt, seine Verantwortlichkeit für den Paramilitarismus zu verdecken.

2. Der „schwache Staat“
Kolumbien hat einen starken, äusserst gut funktionierenden Staat im repressiven Bereich (Armee, Polizei, Geheimdienste), aber einen sehr schwachen Staat in gewissen Bereichen der Justiz und einen fast inexistenten Staat im Bereich der sozialen Wohlfahrt.[5] Die Schwäche des kolumbianischen Staates ist funktional, ist gewollt, ist geschaffen und nicht einfach ein Produkt der Unterentwicklung. So ist z.B. die Straflosigkeit zur gewaltsamen Erhaltung und Durchsetzung der Privilegien einer kleinen Schicht absolut funktional. Die Aufklärungsrate von Menschenrechtsverletzungen liegt im einstelligen Prozentbereich!

3. „Legitimer Staat gegen organisiertes Verbrechen und Terrorismus“
Die Darstellung eines vertrauenswürdigen, legitimen Staates (mit einigen Schwächen, die zu überwinden er sich anschickt und wobei er unterstützt werden sollte), welcher verschiedenen Formen des organisierten Verbrechens (Drogenhändler, Verbrechersyndikate, etc.) und des Terrorismus (FARC, ELN) gegenüber steht, bedeutet im Klartext die Übernahme der zentralen These der Politik der demokratischen Sicherheit von Uribe, welche den internen bewaffneten Konflikt verleugnet und von einer „terroristischen Bedrohung“ spricht.

Dies hat gravierendste Folgen auf die Anwendung von internationalem Recht. So wird auf diesem Hintergrund das Humanitäre Völkerrecht obsolet. Wird der interne bewaffnete Konflikt verleugnet, so sind die staatlichen Sicherheitskräfte nicht mehr Konfliktpartei. Die Anstrengungen der Zivilgesellschaft, nicht in den Konflikt involviert zu werden und ihre Neutralität in diesem Konflikt einzufordern, werden hinfällig. Wir möchten an die Stellungsnahmen der UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, des UNO-Menschenrechtsbüros in Kolumbien, des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes IKRK und internationaler Menschenrechtsorganisationen erinnern, welche sich fundiert gegen diese Verleugnung des internen bewaffneten Konfliktes gestellt und auf deren Folgen für die Anwendung des Humanitären Völkerrechtes – insbesondere den Schutz der Zivilbevölkerung – aufmerksam gemacht haben.

4. Die „neue Rolle der Zivilgesellschaft“
Tatsächlich – und dies ist äusserst ermutigend und erfreulich – ist ein Erstarken der Zivilgesellschaft in Kolumbien zu beobachten. Wir denken hier an die an indigenen, afrokolumbianischen, gewerkschaftlichen, bäuerlichen und studentischen Bewegungen, an Frauen- und Friedensbewegungen, Menschenrechts- und Opferbewegungen und die unzähligen Initiativen der Zivilgesellschaft, aktiven, gewaltlosen Widerstand gegen den Krieg zu leisten, wobei sie sich auf das Humanitäre Völkerrecht berufen und an ihr Recht appellieren, als Zivilbevölkerung nicht in den Konflikt involviert zu werden. Obwohl in den Thesen von KAS eingeräumt wird, dass für die Anführer der zivilgesellschaftlichen Organisationen Gefahr besteht, wird in keiner Weise auf die Rolle und Verantwortung der Regierung für diese Gefährdung aufmerksam gemacht. Höchste Regierungsfunktionäre bis hin zum Präsidenten selber haben wiederholt zivilgesellschaftliche Proteste diffamiert, der Unterwanderung durch die Guerilla und terroristischer Motive bezichtigt. Dass die Regierung die in den KAS-Thesen angesprochene Polarisierung mit ihrer Haltung – wer nicht für mich ist, ist ein Verbündeter des Terrorismus – selber wesentlich voran treibt, bleibt unerwähnt.

Zweite und Dritte These der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS)
In der Zweiten KAS-These wird gesagt, dass man von einem Postkonflikt sprechen könne. Die Bezeichnung Postkonflikt beziehe sich jedoch nur auf „den klassischen Konflikt, wie er oben definiert wurde“. In der Dritten KAS-These wird argumentiert, dass der militärische Erfolg über die Guerilla und die Demobilisierung der Paramilitärs dem Land politischen Raum für die Diskussion anderer, wichtiger Thema gebe, wie die soziale Kluft, die Bekämpfung der Armut, das Gesundheitssystem und das Vertrauen der Investoren. Die Diskussion über soziale Themen – „welche im Präsidentschaftswahlkampf 2010 von höchster Bedeutung sein werden“ – sei Zeichen eines Postkonflikt-Diskurses. Zum Schluss wird eingeräumt: „Das Kolumbien von heute ist immer noch keine ideale Demokratie, aber ein Land, in dem sich alle Positionen in einem legalen politischen Rahmen artikulieren können.“

Replik zur Zweiten und Dritten These
Der vermeintliche Postkonflikt

Auch wenn in der Zweiten KAS-These gesagt wird, dass nur von einem Postkonflikt in Bezug auf den klassischen Konflikt gesprochen werden könne, wird in der Dritten KAS-These die Diskussion über soziale Themen als Zeichen einer Postkonflikt-Situation gewertet.
Es kann nicht von einem Postkonflikt gesprochen werden, weil der Konflikt weiter anhält. So haben die Paramilitärs seit ihrer Erklärung des „Waffenstillstandes“ im Dezember 2002 und ihrer Demobilisierung bis heute über 4000 Zivilpersonen ermordet. Die Überprüfungskommission der OAS (MAPP-OEA) hat wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass politische, soziale, wirtschaftliche und militärische Strukturen des Paramilitarismus trotz der „Demobilisierung“ intakt geblieben sind. Aus den angeblich „demobilisierten“ paramilitärischen Verbänden AUC sind neue bewaffnete Strukturen entstanden, die heute rund 10‘200 Bewaffnete in 102 verschiedenen Gruppen vereinen, die in 246 der 1120 Gemeinden des Landes präsent sind. Rund die Hälfte der Bewaffneten stammen von den früheren paramilitärischen Verbänden.

Von einem Postkonflikt kann auch darum nicht gesprochen werden, da der Staat sich weigert, seine Rolle als Konfliktakteur zu reflektieren. Dabei ist die Übernahme der Verantwortung des Staates für Verbrechen, die in seinem Namen oder mit seiner Unterstützung, Zustimmung oder Tolerierung verübt wurden, von zentraler friedensrelevanter Bedeutung. Das Eingeständnis und die Aufdeckung der staatlichen Verantwortung für staatsterroristische Verbrechen ist ein unabdingbares Element für die Glaubwürdigkeit eines Friedens- und Versöhnungsprozesses. Ohne den klaren politischen Willen und konkrete Schritte zur Aufdeckung der staatlichen Verantwortung für diesen schmutzigen Krieg ist eine Aufarbeitung des Konfliktes nicht möglich. Ohne klare, unmissverständliche Zeichen der Bereitschaft des Staates zur Offenlegung der Wahrheit und seiner Rolle, fehlt die grundlegend notwendige Glaubwürdigkeit. Gerade Deutschland sollte sich der Notwendigkeit der Aufdeckung der Rolle des Staates bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Menschenrechte aus seiner Geschichte besonders bewusst sein.

Und schliesslich ist die Guerilla – insbesondere die FARC – trotz empfindlicher militärischer und politischer Rückschläge weiterhin ein ernst zu nehmender Gegner. Keiner der Konfliktakteure – Armee, Paramilitärs und Guerilla – hat aufgehört zu existieren.

Ebenfalls stimmt es nicht, dass sich in Kolumbien alle Positionen frei artikulieren können. Das Medienmonopol in den Händen der Familie Santos (Vizepräsident und Verteidigungsminister), der Regierung hörige Medien (Presse und TV) und die wiederholte Einschüchterung und Bedrohung unabhängiger JournalistInnen zeichnen ein anderes Bild. So musste z.B. eine schweizerische Filmequipe, welche im Auftrag des Schweizer Fernsehens und ARTE einen Film über die Straflosigkeit realisieren wollte, im Februar 2009 ihre Dreharbeiten nach Drohungen abbrechen.[6] Der bekannte TV-Journalist und Preisträger von Human Rights Watch, Hollman Morris, ist von Regierungsvertretern als „Journalist des Terrorismus“ verleumdet worden.

Vierte These der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS)
In dieser These wird die Erste KAS-These nochmals bekräftigt, dass ein stärkerer (legitimer) Staat diversen gewalttätigen und illegalen Gruppen gegenüber stehe. Man könne somit von einer „Normalisierung“ des kolumbianischen Konflikts sprechen und der kolumbianische Konflikt sei damit nicht mehr einzigartig, sondern vergleichbar mit den Konflikten in Mexiko, Brasilien oder Guatemala.

Replik zur Vierten These
Hier wird wiederum betont, dass es in Kolumbien letztlich – wie in der Ersten These breit dargelegt – um einen Konflikt zwischen dem Staat und illegalen Verbrecherorganisationen gehe. Die These des kolumbianischen Präsidenten Uribe, wonach es sich um einen Kampf eines Rechtsstaates gegen das organisierte Verbrechen und den Terror handle, wird hier nochmals untermauert.

Dadurch, dass Kolumbien auf die gleiche Ebene mit Mexiko und Brasilien gestellt wird, wird unterstrichen, dass es sich nicht um ein Land mit einem internen bewaffneten Konflikt handle. Die Streitkräfte sind somit kein Kriegsakteur mehr und das Humanitäre Völkerrecht ist nicht applizierbar.

Diese Analyse des kolumbianischen Gewaltszenarios ist völlig ahistorisch und nicht haltbar. In Kolumbien ist letztlich in den 60er Jahren eine bewaffnete Gegengewalt entstanden, da jegliche politische Wege für eine Änderung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse verschlossen waren. Zudem hat das kolumbianische Polit- und Wirtschaftsestablishment selber nie vor der Anwendung von Gewalt zurückgeschreckt, wenn es um die Verteidigung ihrer Privilegien ging. Das Nebeneinander von demokratischen Strukturen (auf dem Papier) und de facto Gewaltmechanismen, hat in Kolumbien Tradition. Das Beispiel der physisch liquidierten Partei Unión Patriótica, ein eigentlicher politischer Genozid, soll hier beispielhaft für unzählige andere soziale Bewegungen und zivilgesellschaftliche Gruppen stehen, die trotz ihrer Gewaltlosigkeit und legitimen Anstrengungen zur Einforderung ihrer verfassungsmässigen Rechte ausgelöscht wurden. Welche Demokratie erträgt die Ermordung von rund 4000 Mitgliedern einer einzigen oppositionellen Partei? Auch in diesem Bereich ist kein politischer Wille erkennbar, Privilegien auch nur anzutasten und die breite Bevölkerung am Reichtum des Landes teilhaben zu lassen. Die regelmässige Kriminalisierung arbeitsrechtlicher Proteste zeigt die gleiche, undemokratische Haltung und die fehlende Bereitschaft der Regierung, soziale Konflikte mittels des Dialogs zu lösen.

Fünfte These der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS)
Hier heisst es: „Der Post-Konflikt-Prozess hat eine Eigendynamik entwickelt.“ Drei Elemente werden angeführt: 1. Die Verlautbarung der Regierung, das Gesetz Gerechtigkeit und Frieden gelte auch als rechtlicher Rahmen für Guerilleros, welche die Waffen abgeben wollen, 2. Die Justizverfahren gegen Politiker, welche in den Paramilitarismus involviert sind und 3. Die Auslieferung der Führungsleute der Paramilitärs an die USA.

Replik zur Fünften These

Tatsächlich hat sich durch die Inhaftierung der paramilitärischen Chefs und die Anhörungen eine Eigendynamik entwickelt. Diese Dynamik wurde aber wesentlich von den mehreren Zehntausenden von Klagen von Opfern des Paramilitarismus, den Nachforschungen zivilgesellschaftlicher Organisationen, den Anklagen von Menschenrechtsorganisationen und den juristischen Ermittlungen des Obersten Gerichtshofes ausgelöst. Die Auslieferung von 14 paramilitärischen Chefs an die USA ist als Befreiungsschlag Uribes gegen die langsam ans Tageslicht tretenden Enthüllungen über die Zusammenarbeit zwischen Staat und Paramilitärs zu verstehen. Die Auslieferung ist in keiner Weise die Manifestation eines politischen Willens, den Paramilitarismus aufzulösen und in seinen Strukturen zu treffen, sondern vielmehr der Versuch, unliebsame Zeugen und Mitwisser über die Verflechtung Staat-Politik-Wirtschaft-Drogenhandel-Paramilitarismus los zu werden. Die Rechte der Opfer auf Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und die Garantie der Nicht-Wiederholung wurden damit einmal mehr gravierend verletzt.

Unerwähnt bleibt in den KAS-Thesen auch die Tatsache, dass nur wenige paramilitärische Führungsleute unter das Gesetz Gerechtigkeit und Frieden fallen. Weit über 90% der Paramilitärs wurden aufgrund des Dekrets 128 von 2003 demobilisiert und gingen de facto straffrei aus.[7]

Beinahe zynisch ist es, die Justizverfahren gegen Politiker, die in den Paramilitarismus involviert sind, hier anzuführen und mit keinem Wort zu erwähnen, dass Präsident Uribe selber keine Anstrengungen gescheut hat, die angeschuldigten Politiker zu verteidigen – und wenn dies nicht mehr ging, die ermittelnden Richter zu bedrohen, zu verleumden und bespitzeln zu lassen. Selbst vor geheimen Komplotts mit Kriminellen ist die Regierung nicht zurück geschreckt, um diese Verfahren möglichst zu blockieren.[8] Auch hier ist es allein der Zivilgesellschaft und einzelnen oppositionellen PolitikerInnen zu verdanken, dass die Verbindungen zwischen Politik und Paramilitarismus thematisiert wurden.

Sechste KAS-These und Replik
In der Sechsten These macht die KAS einen Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Amtszeit von Uribe aus. Aus der Position der Stärke zeige er jetzt mehr „soft power“ und selbst mehr Kreativität bei der Suche einer politischen Lösung.

Wir können leider keinerlei Kreativität bei der Suche nach einer politischen Lösung des bewaffneten Konfliktes feststellen. Im Gegenteil, auch die anfangs Februar 2009 erfolgte, von der Zivilgesellschaft vermittelte, unilaterale Freilassung von sechs Geiseln durch die FARC, ist von Regierungsseite nur behindert worden. Die Regierung Uribe hat eindrücklich gezeigt, dass sie an der humanitären Frage kein Interesse hat. Ein weiteres Element, welche diese unveränderte Haltung der Regierung zeigt, nur auf die militärische Karte zu setzen, ist die Aufkündigung der Vermittlungstätigkeit von Spanien, Frankreich und der Schweiz nach der Geiselbefreiung im Juli 2008.[9] Damit hat Präsident Uribe jegliche internationale Unterstützung bei der Suche nach einem humanitären Abkommen und Friedensverhandlungen abgebrochen.

Siebte KAS-These und Replik
In dieser These wird auf einen Wandel des Bildes von Kolumbien im Ausland aufgrund der Erfolge der Politik der Demokratischen Sicherheit verwiesen. Es wird betont, dass in Kolumbien der Staat die Guerilla nicht mit terroristischen Mitteln bekämpft, wie dies in Peru unter Fujimori in seinem Kampf gegen Sendero Luminoso der Fall gewesen war. Es wird eingeräumt, dass es zu Menschenrechtsverletzungen kommt, diese jedoch keine Strategie darstellen und administrativ und juristisch verfolgt würden. Dazu wird das Beispiel von 27 zum Teil hochrangigen Offizieren angeführt, welche im Oktober 2008 aufgrund der Aufdeckung von aussergerichtlichen Hinrichtungen aus dem Dienst entlassen wurden.

Weder Demokratie noch Sicherheit
In der Tat hat sich das Bild Kolumbiens im Ausland gewandelt. Dies vor allem deshalb, weil die wichtigsten Überlandstrassen wieder sicherer geworden und die Entführungen zurück gegangen sind. Auch einzelne Formen von Menschenrechtsverletzungen gingen zurück (z.B. Massaker) und die Städte sind generell sicherer geworden. Durch die starke Militarisierung und die Armee- und Polizeipräsenz an strategisch wichtigen Orten und in den meisten Dörfern ist auch das Vertrauen der Investoren klar gewachsen.

Trotzdem ist die Menschenrechtslage in Kolumbien dramatisch und MenschenrechtsverteidigerInnen, GewerkschafterInnen und soziale Führungspersonen sind in hohem Grad gefährdet. Sie sind Verleumdung, Verfolgung, Todesdrohungen und Attentaten ausgesetzt. Allein im Jahr 2008 wurden 49 GewerkschaftlerInnen und 11 MenschenrechtsverteidigerInnen aufgrund ihrer sozialen Aktivität ermordet. Soziale Bewegungen, Menschenrechts- und Friedensorganisationen werden konsequent stigmatisiert. Hohe Regierungsfunktionäre und Präsident Uribe selber haben wiederholt massivste Vorwürfe gegen legitime Proteste und Kundgebungen erhoben und ihnen unterstellt, von der Guerilla infiltriert und gesteuert zu sein. Dies führt meist postwendend zu Todesdrohungen von Seiten der paramilitärischen Verbände, so u.a. den Aguilas Negras. So geschehen gegen die Mobilisierung der Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen und vieler weiterer Organisationen vom 6. März 08, worauf mehrere Führungsleue ermordet wurden und andere ins Exil mussten. Die gleiche Strategie wurde gegen die Studentenproteste, den Streik der Zuckerrohrarbeiter, die Minga indigena y popular und den Streik der Justizangestellten angewendet. In allen Fällen kam es zu Übergriffen und massiven Menschenrechtsverletzungen.

Seit der Amtsübernahme von Präsident Uribe im August 2002 bis Ende 2007 sind 13‘634 Menschen ausserhalb kriegerischer Ereignisse getötet worden. Die Zahl der Verschwundenen wird von der Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen auf rund 15‘000 Menschen geschätzt. Amnesty International spricht im Bericht vom Oktober 2008 von möglicherweise 30‘000 Verschwundenen.
Hingewiesen sei auch auf die im Jahr 2008 wiederum gestiegene Zahl von gewaltsam Vertriebenen. Seit der Amtsübernahme von Präsident Uribe sind weit über 1 Mio. Menschen Opfer von Vertreibung geworden.
Auch die aussergerichtlichen Hinrichtungen durch die staatlichen Sicherheitskräfte haben in erschreckendem Ausmass zugenommen und sind keineswegs vereinzelte Übergriffe, sondern können als systematische Praxis bezeichnet werden. Die Straflosigkeit ist enorm und die Verurteilungen, welche erreicht worden sind, sind ausschliesslich auf den Druck von nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen zurück zu führen. Es gibt keinen staatlichen Willen, die strukturelle und systematische Straflosigkeit anzugehen.
Wer die relative Sicherheit der Städte verlässt, hört auf dem Land die lapidare Aussage: „Wir haben weder Demokratie noch Sicherheit.“

Achte bis zehnte KAS-Thesen und Replik
In diesen Thesen wird das Verhältnis Kolumbiens zu den Nachbarländern thematisiert. Dabei wird Kolumbien als Opfer von Venezuela und Ecuador dargestellt, da diese beiden Staaten der Guerilla Unterschlupf und Unterstützung bieten würden. Der Autor geht gar so weit, Venezuela mit dem Iran zu vergleichen, welches einen „substaatlichen Akteur nutzt, um eine demokratische gewählte Regierung zu konfrontieren“.

Hier werden Fakten ins pure Gegenteil verdreht. Ecuador wurde durch die USA und deren Militärbasis in Manta, von der aus die Pestizidbesprühungen im Rahmen des Drogenkrieges in Kolumbien geleitet werden und auch der kolumbianische Luftraum überwacht wird, wider Willen in diesen Konflikt hineingezogen. Zudem sind rund 250‘000 kolumbianische Flüchtlinge aufgrund des Krieges und der Besprühungen nach Ecuador geflohen. Sprühflugzeuge haben den Abstand zur Grenze wiederholt nicht eingehalten und auch ecuadorianisches Gebiet besprüht, wobei Menschen, Tiere und die Umwelt zu Schaden kamen. Ecuador hat dagegen international geklagt. Der Angriff auf Raul Reyes war eine klare, ungerechtfertigte Verletzung der Souveränität Ecuadors.

Im Fall Venezuelas wird mit keinem Wort die Infiltration durch kolumbianische Paramilitärs zur Destabilisierung der politischen Situation in Venezuela erwähnt. Auch illegale Operationen der kolumbianischen Geheimdienste auf venezolanischem Hoheitsgebiet kommen nicht zur Sprache. Auch Venezuela beherbergt eine bedeutende Anzahl von kolumbianischen Flüchtlingen und vor allem eine sehr grosse Zahl kolumbianischer Wanderarbeiter und MigrantInnen.

Eine Unterscheidung zwischen „demokratischen Regierungen (darunter Kolumbien, Brasilien, Chile, Mexiko) und populistischen Regimes andererseits (wie Venezuela, Bolivien, Ecuador, Nicaragua)“ zu machen, die „nicht davor zurückschrecken, nichtstaatliche Gewaltakteure als verlängerten Arm ihrer eigenen Interessen zu benutzen oder offen mit solchen Gruppen zu sympathisieren“ darf ruhig als sehr ideologisch verbrämte und nicht objektive Sichtweise bezeichnet werden. Die Wortwahl – da demokratische Regierungen, dort populistische Regimes – offenbart dies mit aller – und völlig unwissenschaftlicher – Deutlichkeit.

Luzern, 13. März 2009