Menschenrechtslage in Kolumbien 2025: MRKK-Kurzbericht und Empfehlungen an die Bundesregierung

Die Gewalt gegen Zivilbevölkerung und Menschenrechtsverteidiger*innen ist 2025 in vielen Regionen dramatisch eskaliert. Vorhaben zum Schutz von Menschenrechten haben für die Regierung an Priorität verloren. Straflosigkeit bei schweren Menschenrechtsverletzungen bleibt die Regel. In ländlichen Gebieten sind zivile staatliche Stellen weiter kaum präsent. Gleichzeitig führen drastische Mittelkürzungen v.a. in den USA und Europa zum Rückgang von Friedens- und Menschenrechtsinitiativen durch Zivilgesellschaft und Behörden. Sorge bereitet die Zunahme politischer Gewalt vor den Kongress- und Präsidentschaftswahlen 2026. Aide-Mémoire aus Anlass des Gesprächs des Forum Menschenrechte mit Außenminister Johann Wadephul am 19. November 2025.

Humanitäre Krise: Nichtstaatliche bewaffnete Gruppen – paramilitärische Verbände, ELN-Guerilla, FARC-Splittergruppen, transnationale kriminelle Netzwerke – mit 30.000 Personen unter Waffen operieren aktuell in mind. zwei Dritteln des Landes. Viele Gruppen sind sehr heterogen, spalten sich häufig auf oder bilden fragile Allianzen. Kriminelle „Dienstleistungen“ werden an lokale Gewaltgruppen outsourced, Kinder und Jugendliche massiv zwangsrekrutiert (ca. 1.800 allein 2024 laut NRO). Kämpfe um die Kontrolle strategisch wichtiger Territorien und illegaler Ökonomien nehmen zu – auch in Städten. Die Krise verschärft sich: Laut UN wurden bis August 2025 so viele Menschen vertrieben (164.000) wie 2024 (180.000). Allein im Catatumbo flohen bei Kämpfen Anfang 2025 fast 65.000 Menschen, 117 wurden getötet.

Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen (MRV): Kolumbien galt laut Front Line Defenders 2024 als gefährlichstes Land für MRV: Mind. 157 MRV (davon 19 Frauen) starben dem NRO-Bündnis Programa Somos Defensores zufolge 2024 bei Mordanschlägen. Indepaz erfasste seit Abschluss des Friedensvertrags (2016) 1.858 Morde an MRV (154 davon 2025). Angriffe bleiben fast immer straflos. Schutzmaßnahmen werden weiter viel zu langsam gewährt oder vorzeitig aufgehoben. Der zentrale Dialogprozess zwischen Zivilgesellschaft und Regierung (Proceso de Garantías) findet in vielen Regionen kaum statt. Eine Public Policy zum Schutz von Menschenrechtsarbeit wurde bisher nicht verabschiedet, NRO-Vorschläge dafür nahm die Regierung nur bedingt auf. Auch Diffamierungen hoher Mandatsträger*innen verschärfen das Risiko von MRV.

Frieden: Die Friedensgespräche der Regierung mit neun bewaffneten Gruppen im Rahmen ihrer paz total-Politik stagnieren oder sind gescheitert. Die am weitesten fortgeschrittenen und auch von Deutschland unterstützten Verhandlungen mit dem ELN wurden abgebrochen. In einigen Städten wie Medellín oder Quibdó verbesserte sich zeitweise die Sicherheitslage. Den Friedensgesprächen fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage und einer langfristigen Strategie, wirksamen Druckmitteln – etwa durch Strafverfolgung – sowie an Sicherheitsgarantien für die Zivilbevölkerung. Echte Beteiligung für Betroffene und NRO existiert kaum. Trotz Versuchen der Regierung, den Friedensvertrag von 2016 entschiedener umzusetzen, waren bis November 2024 laut Kroc-Institute nur 34 % der 578 Vereinbarungen vollständig, 47 % hingegen minimal oder gar nicht implementiert. Große Verzögerungen weisen Vorhaben auf, die den strukturellen Konfliktursachen wie Landkonzentration, extremer sozialer Ungleichheit und der Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen entgegenwirken sollen. Demobilisierte FARC-Mitglieder werden nicht genug geschützt: Laut UN wurden 2024 33 und bis Juni 2025 29 ermordet. Obwohl der Friedensvertrag nachhaltiger Lebensmittelproduktion und dem Zugang zu gesunder und ausreichender Ernährung hohe Priorität einräumt, war 2024 ein Viertel der Bevölkerung von Ernährungsunsicherheit betroffen. Positiv ist die Anerkennung des Rechts auf Nahrung als Verfassungsrecht. Einen Meilenstein stellen die ersten Urteile der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP) dar: Das Gericht verurteilte die sieben letzten FARC-Oberkommandeure sowie zwölf Militärs wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu Alternativstrafen von bis zu acht Jahren. Konfliktüberlebende kritisieren, dass sie in die Ausgestaltung der Strafen kaum einbezogen wurden.

Finanzierung: Die Mittelkürzungen durch die USA und diverse EU-Staaten haben den Menschenrechtsschutz massiv verschlechtert. Das UN-Menschenrechtsbüro entließ fast die Hälfte seines Personals. Menschenrechts-NRO stellten Projekte ein oder zogen sich ganz aus Konfliktregionen zurück. Auch staatliche Stellen wie die JEP, sind stark von den Kürzungen betroffen. Laut UN brachen auch 70 % der humanitären Hilfe weg.

Weiterlesen – das gesamte Aide-Mémoire Kolumbien hier als PDF zum Download.

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 Aide-Mémoires des Forum Menschenrechte sind hier zu finden:

https://www.forum-menschenrechte.de/aide-memoires-2025/

Zur Pressemitteilung des Forum Menschenrechte zum Gespräch mit Außenminister Johann Wadephul

https://www.forum-menschenrechte.de/erstes-treffen-mit-aussenminister-wadephul/