Pressemitteilung: Kolumbien: Menschenrechtsorganisationen warnen vor massenhafter Straflosigkeit – Sieben Jahre Gesetz „Gerechtigkeit und Frieden“

Mehr als tausend Paramilitärs, denen schwerste Verbrechen vorgeworfen werden, drohen in einem Jahr in die Freiheit entlassen zu werden – ohne angemessenen Gerichtsprozess. Dann läuft das am 25.07.2005 in Kolumbien in Kraft getretene "Gesetz 975 für Gerechtigkeit und Frieden" aus.

autor: kolko- Menschenrechte für Kolumbien e.V.

Berlin 23.07.2012: Mehr als tausend Paramilitärs, denen schwerste Verbrechen vorgeworfen werden, drohen in einem Jahr in die Freiheit entlassen zu werden – ohne angemessenen Gerichtsprozess. Dann läuft das am 25.07.2005 in Kolumbien in Kraft getretene „Gesetz 975 für Gerechtigkeit und Frieden“ aus. Es sollte den rechtlichen Rahmen für eine Demobilisierung der paramilitärischen Gruppen bieten und auch für Guerillagruppen offen sein. Erfolge bei Wahrheitsfindung und Frieden sind bescheiden.

„Wie von Menschenrechtsorganisationen befürchtet, hat das Gesetz 975 die Straflosigkeit weiter befördert, ohne maßgeblich zu einer Beendigung des bewaffneten Konfliktes beizutragen. Die Bundesregierung muss deshalb noch viel stärker die Opfer des bewaffneten Konflikts und von Menschenrechtsverletzungen im Blick haben und sich für deren Rechte stark machen. Die geplante Ratifizierung des Freihandelsabkommens der EU mit Kolumbien ist der falsche Schritt“, erklärt Alexandra Huck von kolko e.V.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gab es bis März 2012 lediglich 11 Verurteilungen nach dem „Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden“. Von den Demobilisierten fallen lediglich 2.695 Paramilitärs unter dieses Gesetz. „In einem Jahr läuft das Gesetz 975 aus, dann ist die vorgesehene Höchststrafe abgelaufen“, so die Kolumbienexpertin Alexandra Huck. Selbst die Paramilitärs, die dann noch keine Aussagen gemacht haben, würden danach auf freien Fuß gesetzt. Länger als bis zum Ablauf ihrer zu erwartenden Höchststrafe von acht Jahren können sie nicht festgehalten werden. „Es ist ein Skandal und ein Schlag ins Gesicht der Opfer, wenn die Täter schlimmster Gräueltaten ohne richtige Verfahren freikommen, ohne zu Wahrheit oder Entschädigung beizutragen“, so Huck.

Paramilitärische Nachfolgegruppen bedrohen die Zivilbevölkerung in vielen Teilen des Landes, zahlreiche Partner deutscher Hilfswerke sind bedroht. Seit 2002 wurden 54 Vertriebenensprecher ermordet. „Natürlich ist ein Demobilisierungs- und Friedensprozess eine Herkulesaufgabe, aber die Zahlen sind ernüchternd“, so Alexandra Huck. „Bis zum März 2012 haben sich offiziell ca. 56.500 Mitglieder illegaler Gruppen demobilisiert, davon etwa 21.000 Guerilleros und 35.500 Paramilitärs. 2005 wurde von ca. 12.000 Paramilitärs ausgegangen, die paramilitärischen Nachfolgegruppen haben jetzt etwa 10.000 Kämpfer und sind in über 200 Landkreisen aktiv.“

Angesichts des Auslaufens des Gesetzes kursiert ein Änderungsentwurf im kolumbianischen Kongress, der eine weitere Priorisierung bei den Verfahren vorsieht. „Alle Opfer haben das gleiche Recht darauf, dass die Täter identifiziert und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Priorisierung darf nicht dazu führen, dass manche Opfer schlechter gestellt werden“, erklärt dazu Alexandra Huck. „Viele paramilitärischen Täter sind bereits straffrei ausgegangen, ohne zur Wahrheitsfindung beizutragen.“

Kontakt: Alexandra Huck, kolko e.V.: Tel: 030-42809107 , 0172 166 0346

(auch für Kontakte zu kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen)