ZWISCHEN HOFFNUNG UND BEDROHUNG IN KOLUMBIEN: GEFÄHRLICHER EINSATZ VON MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER*INNEN

Kolumbien gilt als das gefährlichste Land für Menschenrechtsverteidiger*innen (MRV) weltweit. Auch die Anerkennung ihrer Arbeit durch die Regierung unter Präsident Gustavo Petro und Maßnahmen zum Schutz von MRV haben die Gewalt bisher nicht einschränken können: Laut zivilgesellschaftlichen Angaben wurden allein im Jahr 2024 mindestens 157 MRV ermordet, die meisten davon in den Departements Antioquia, Arauca, Cauca und Valle del Cauca.(1)

In den Regionen, die historisch stark vom bewaffneten Konflikt betroffen sind, ist die Gewaltrate besonders hoch. Die Demobilisierung der FARC-Guerilla im Jahr 2016 führte zu einer Neuordnung und weiteren Zersplitterung der illegalen bewaffneten Gruppen. Gleichzeitig besteht durch die geringe staatliche Präsenz in weiten Teilen des Landes ein Machtvakuum, in dem Splittergruppen der FARC-Guerilla, die ELN-Guerilla, paramilitärische Gruppierungen und andere Akteur*innen der organisierten Kriminalität um territoriale Kontrolle kämpfen – mit gravierenden Folgen für die Sicherheit von MRV. Die Zahl der Übergriffe stieg dadurch an. Die Angriffe gehen aber auch deshalb nicht zurück, weil sie in über 90 Prozent der Fälle straflos bleiben. Den Strafverfolgungsbehörden mangelt es an ausreichender personeller, finanzieller und technischer Ausstattung, aber oft auch an Transparenz und Willen, die Angriffe umfassend aufzuklären. Solange Täter*innen jedoch weder Ermittlungen noch Sanktionen fürchten müssen, werden sie auch künftig vor Angriffen nicht zurückschrecken.

Vielfältige Maßnahmen – wenig Wirkung

In den vergangenen Jahren haben die kolumbianischen Regierungen verschiedene Maßnahmen zum Schutz von MRV ergriffen, die jedoch wiederholt auf militärische Ansätze setzten und die strukturellen Ursachen der Gewalt unbeachtet ließen. Bereits 2011 wurde die Nationale Schutzstelle (UNP) eingerichtet, die nach individueller Risikoprüfung Schutzmaßnahmen – etwa Personenschutz, gepanzerte Fahrzeuge oder Mobiltelefone – für bedrohte MRV bietet. Im Jahr 2024 registrierte das Büro des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) 4.683 Schutzgesuche von Betroffenen. In 321 Fällen wurden Schutzmaßnahmen für ganze Organisationen oder Gemeinschaften gewährt.(2) Neben den langwierigen Genehmigungsverfahren der Schutzmaßnahmen kritisieren zivilgesellschaftliche Organisationen auch deren reaktive Natur sowie fehlende Differenzierung. Eine zentrale Rolle beim Schutz kommt dem Frühwarn-System der staatlichen Ombudsstelle für Menschenrechte zu, das die Menschenrechtslage, insbesondere in entlegenen Gegenden, überwacht. Jedoch reagieren nationale, bundesstaatliche und kommunale Behörden oftmals entweder gar nicht oder ineffektiv auf Frühwarnungen.

Zu den ersten Amtshandlungen des aktuellen Präsidenten Gustavo Petro gehörte vor diesem Hintergrund das Versprechen, einen von der Zivilgesellschaft erarbeiteten Notfallplan für MRV (Plan de Emergencia) umzusetzen.(3) Die Implementierung der 49 darin vorgesehenen Maßnahmen geht laut der kolumbianischen Zivilgesellschaft jedoch nur langsam und unvollständig voran, u.a. aufgrund der ungenügenden Koordination zwischen den Behörden auf nationaler und lokaler Ebene so wie einer fehlenden Abstimmung mit Maßnahmen im Rahmen der Politik des „umfassenden Friedens“ (Paz Total). (4) Zudem erschweren diffamierende Aussagen wie jene vom 3. März 2025, als Präsident Petro zivilgesellschaftliche Organisationen in Catatumbo pauschal als von bewaffneten Gruppen „durchsetzt“ bezeichnete, die Umsetzung menschenrechtsbasierter Lösungen erheblich. Positiv hervorzuheben ist jedoch die Wiederbelebung unterschiedlicher Dialogräume zwischen Regierung, der kolumbianischen Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen, darunter der Runde Tisch für Sicherheitsgarantien und die Nationale Kommission für Sicherheitsgarantien.(5) Darüber hinaus verabschiedete die Regierung im Juli 2024 einen vierjährigen Aktionsplan zum Schutz von MRV, der die besonderen Herausforderungen für Frauen, Indigene und Afrokolumbianer*innen anerkennt und ihren Einsatz gezielt unterstützen soll. 

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FEDEPESAN Menschenrechtsverteidiger*innen stark bedroht

Seit Januar 2025 nehmen die Bedrohungen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen im nördlichen Teil Kolumbiens wieder stark zu. Dies betrifft auch den Verband für traditionelle Fischerei, Umweltschutz und Tourismus im Departement Santander (FEDEPESAN), der sich für den Umweltschutz und den Erhalt der Lebensweise der Fisch*innen einsetzt. Die Organisation kämpft gegen Wasserverschmutzung durch lokale Unternehmen, Korruption und die Präsenz krimineller Organisationen.(6) Erst im März 2025 belegte ein umfassender BBC-Bericht jahrelange Umweltverschmutzung des staatlichen Ölkonzerns Ecopetrol, gegen die die Unternehmensführung nichts unternahm.(7) Wegen ihres Engagements werden FEDEPESAN-Mitglieder immer wieder angegriffen. Im Juni 2025 spitzte sich die Bedrohungslage so sehr zu, dass zahlreiche Angehörige von FEDEPESAN die Region verlassen mussten. Trotzdem setzen sie ihre Arbeit unermüdlich fort und wurden dafür im Juni 2024 mit dem Menschenrechtspreis von Amnesty International Deutschland geehrt. 

WIR EMPFEHLEN DER BUNDESREGIERUNG UND DEN MITGLIEDERN DES BUNDESTAGS

  • sich gegenüber der kolumbianischen Regierung für eine wirksame und schnelle Umsetzung von Schutzmaßnahmen unter Beteiligung der Betroffenen einzusetzen. Insbesondere die Programme für Kollektivschutz ländlicher Gemeinschaften (Dekret 660) und für Menschenrechtsverteidigerinnen (Resolution 0845) müssen ausgeweitet und besser ausgestattet werden;
  • von der kolumbianischen Regierung eine wirksamere Bekämpfung der Straflosigkeit, d.h. eine umfassende und zügige Untersuchung und strafrechtliche Verfolgung der Täter*innen einschließlich ihrer Auftraggeber*innen durch unabhängige Stellen, einzufordern;
  • sich gegenüber der kolumbianischen Regierung für eine zügige und vollständige Umsetzung der Policy und des Aktionsplans zur Auflösung nicht- staatlicher bewaffneter Gruppen der Nationalen Kommission für Sicherheitsgarantien einzusetzen;
  • die Zugänge zu Schutzprogrammen für MRV, etwa die Elisabeth-Selbert- Initiative und die Hannah-Arendt-Initiative, zu vereinfachen sowie eine breitere Bekanntmachung dieser Initiativen durch die Auslandsvertretungen zu gewährleisten, um die Wirksamkeit dieser Programme in akuten Bedrohungssituationen für MRV sicherzustellen;
  • zu gewährleisten, dass zur Unterstützung der lokalen Zivilgesellschaft ausreichend Mittel im Bundes-Etat zur Verfügung stehen.
  1. Somos Defensores (2025): Derechos Humanos sin Protección.
  2. Naciones Unidas, Asamblea General (2025): Situación de los derechos humanos en Colombia.
  3. Plataforma Colombiana de Derechos Humanos, Democracia y Desarrollo, PCDHDD, et al. (2022): Plan de Emergencia para la Protección a Líderes(as), Personas Defensoras de DDHH y Firmantes de Paz.
  4. Paz Total ist ein Konzept der Regierung Petro, das Frieden zur obersten Staatspriorität macht, Verhandlungen mit bewaffneten Gruppen erleichtern und durch kommunale Beteiligung sowie soziale Hilfen dauerhaft sichern soll. Ministerio del Interior (2022): Presidente Gustavo Petro, sancionó la Ley de la Paz Total. Siehe auch MRKK-Factsheet Frieden 2025.
  5. Coordinación Colombia Europa Estados Unidos (2024): Presidente Petro lideró reunión de la Comisión Nacional de Garantías de Seguridad para Fortalecer la Protección de Líderes Sociales y Firmantes de Paz.
  6. Amnesty International (2025): Urgent Action. Rückkehr von FEDEPESAN-Mitgliedern sicherstellen. 7. BBC (2025): Oil giant‘s leaked data reveals ‚awful‘ pollution.