Wieder ist in der Schweiz ein Monat mit Home Office, Abstandsregeln und langsam gelockerten Massnahmen vergangen. Auch in Kolumbien haben die Städte bereits wieder eine graduelle Lockerung ihrer Quarantänen veranlasst. Die Zahlen von neuen COVID19 Infiszierten steigen allerdings immer noch an. Auch Lateinamerika allgemein zeigt kein rosiges Bild. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat offiziell bestätigt, dass Lateinamerika das neue Epizentrum des Virus ist, und in Ländern wie Brasilien oder Chile und auch Ecuador ist die Lage extrem ernst.
Während die Abholzungen im kolumbianischen Amazonas während der Pandemie rasant zunehmen und sich das Militär mit einem neuen Skandal herumzuschlagen hat, nutzt Duque die Gunst der Stunde um sein Online Image mit Geldern aus dem Friedensfonds aufzubessern und räumt Siedlungen in den Armenvierteln von Cali und Bogotá.
Wir berichten zudem zur wieder zunehmenden Gewalt im Cauca, zu den Fortschritten des vierten Punktes des Friedensabkommens und zu den Beziehungen zwischen Unternehmen, lokaler Bevölkerung, staatlichen Sicherheitskräften und Staatsanwaltschaft. In zwei Artikeln zeigen wir auf, wie heikel das Geschäften in einem Konflikgebiet sein kann. Prodeco, die Glencore Tochterfirma, schloss heikle Verträge mit der Armee ab, um sich mehr Sicherheit zu erkaufen. Cerrejón ist ein unrühmliches Beispiel dafür, wie Kritiker von Unternehmensaktivitäten in Gefahr kommen. Diese Beispiele zeigen, dass das freiwillige Engagement der Unternehmen im Menschenrechtsbereich nicht ausreicht und es verbindliche, gesetzliche Sorgfaltspflichten braucht. Deshalb ist es umso wichtiger, von hier aus die Konzernverantwortungsinitiative zu unterstützen, und bei unseren Tipps und Hinweisen dem Link zu folgen und eine neue KOVI-Fahne zu bestellen. Gemeinsam können wir etwas bewirken!
I. Artikel
Kolumbien ist das zweitgefährlichste Land für Menschenrechtsverteidiger, die sich gegen negative Auswirkungen von Unternehmen wehren
Anfang März hat das Informationszentrum für Unternehmen und Menschenrechte (Business & Human Rights Resource Centre, BHRRC), einen Bericht vorgestellt, gemäss dem Kolumbien das zweitgefährlichste Land der Welt (nach Honduras) ist für MenschenrechtsverteidigerInnen (MRV), die Unternehmensthemen bearbeiten.
(Von Stephan Suhner)
Punkt 4 des Friedensabkommens: Drogen und Frieden
Obwohl bei der Umsetzung des vierten Punktes des Friedensabkommens die Anstrengungen auf dem Programm zur Substitution der Kokapflanzungen lagen, ist der Rückstand auf den Zeitplan des Programms noch enorm. Der strukturelle Wandel der Kokagebiete, eine differenzierte strafrechtliche Behandlung der Kokapflanzer sowie eine auf die Gesundheitspolitik fokussierte Politik gegenüber Drogenkonsumenten stehen noch aus.
(Von Stephan Suhner)
https://www.askonline.ch/themen/punkt-4-des-friedensabkommens-drogen-und-frieden
Erdöl- und Bergbaufirmen finanzieren die staatlichen Sicherheitskräfte und die Staatsanwaltschaft
Die Unterstützungsstruktur der Staatsanwaltschaft (EdA), die Streitkräfte und die Polizei haben Kooperationsabkommen mit Unternehmen aus dem Bergbau- und Energiesektor, um deren Sicherheit zu garantieren und Delikte zu ahnden. In den Territorien, wo diese Projekte durchgeführt werden, beklagt sich die Bevölkerung über Missbrauch und Verfolgung. Aus den Zahlungen der Unternehmen werden aber auch touristische Ausflüge, Musikinstrumente und weitere Annehmlichkeiten für die Soldaten und Polizisten bezahlt
(Von Stephan Suhner)
II. Apropos
Neuer Skandal zu illegalen Abhöraktionen des Militärs:
Anfang Mai hat die Zeitschrift Semana mal wieder eine Bombe platzen lassen: Mindestens 130 Personen wurden anscheinend zwischen Februar und Dezember 2019 vom kolumbianischen Militär ausspioniert. Darunter fallen Journalistinnen, Gewerkschafter, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen sowie auch oppositionelle SenatorInnen und hochrangige Regierungsfunktionäre. Die Informationen scheinen in grossem Ausmass und ohne Auswahl gesammelt geworden sein, um daraus militärische Geheimdienstberichte zusammenzustellen. In diesen Profilen finden sich Informationen über Telefonnummern, Adressen, Freunde, Angehörige, Verkehrsvergehen usw. Das Zeil sei gewesen, das Image des kolumbianischen Militärs sauber zu halten. Natürlich wurde die Tatsache von Duque scharf verurteilt und Verteidigungsminister Trujillo kündigte die Entlassung von 11 Militärs an. Wie jedoch eine Quelle aus den Reihen des Militärs bestätigte, werden in solchen Fällen zwar immer einige nicht sehr hohe Beamte entlassen, diejenigen, die die Fäden ziehen bleiben allerdings unerkannt und straflos. Anscheinend wurden für Teile der Abhöraktionen, darunter zum US-amerikanischen Journalisten Nick Casey, staatliche Finanzhilfen der USA benutzt. Nick Casey ist ein Journalist der New York Times, der den erneuten Bodycount publik machte und danach Kolumbien wegen Drohungen verlassen musste.
Der Skandal ist einer mehr in einer Reihe von Skandalen, die in den letzten 10 Jahren aufgedeckt wurden. Es ging dabei immer um illegale Abhöraktionen, Verfolgungen und Spionage. Semana fasst die Fälle im letzten untengenannten Artikel schön zusammen.
Duque verbessert sein Image mit Geldern aus dem Friedensfonds:
Die Regierung gibt 3.35 Mia. Pesos (830‘000 CHF) vom Friedensbudget für eine Medienkampagne aus, die das Bild des Präsidenten Duque’s verbessern soll. Dazu wurde, mitten in der Pandemie, ein Vertrag mit der Werbungsagentur Du Brand abgeschlossen. Dies hat heftige Kritik ausgelöst unter den Verfechtern des Friedensabkommens. Die Begründung, weshalb diese Medienkampagne mit Geldern aus dem Friedensfonds bezahlt werden soll, besteht darin, dass nur über integrale digitale Kommunikation ein Dialog garantiert werden könne, der die Mehrheit der Meinungen aller KolumbianerInnen beinhalte. Dies trage auch zum Frieden bei. Juanita Goebertus hingegen betont, dass diese Gelder laut dem Gesetz 368 von 1997 zur Wiedereingliederung bestimmt sind.
https://razonpublica.com/funcionara-la-campana-publicitaria-duque/
https://actualidad.rt.com/actualidad/352339-polemica-colombia-contrato-millonario-posicionar-duque-fondos-acuerdo-paz
Abholzung im Amazonas:
Die Abholzung des Regenwaldes hat in den vergangenen Monaten wiederum alarmierende Höhepunkte erreicht. Nicht einmal die Pandemie und mit ihr die Isolationsmassnahmen konnten die Abholzung stoppen. Im Gegenteil, die illegalen Gruppen haben sich nicht an die Quarantäne gehalten und den Ausnahmezustand ausgenutzt, um ihre illegalen Tätigkeiten umso ungestörter umzusetzen. Es wird geschätzt, dass die Abholzung der ersten vier Monaten dieses Jahres bereits die Zahlen des ganzen letzten Jahres übersteigt. Ende April hat die Generalstaatsanwaltschaft den Präsidenten gebeten, den ökologischen und klimatischen Notstand auszurufen, um Massnahmen gegen die Abholzung ergreifen zu können.
Dagegen hält das Projekt Amazonía Joven, finanziert vom Friedensfonds der EU, wo rurale Gemeinden im Caqueta auch während der Pandemie weiterhin Samen von einheimischen Bäumen reproduzieren und so die Wälder wieder aufforsten und gleichzeitig zu ihrer Ernährungssouveränität beitragen.
Gewaltsame Räumungen in Armenvierteln von Bogotá und Cali:
Viele Familien in den ärmeren Vierteln der Grossstädte leiden während der Pandemie Hunger oder werden sogar aus ihren Wohnungen geworfen, weil sie die Miete nicht länger zahlen können. Währenddem gehen auch auf dem Land die gewaltsamen Vertreibungen weiter und die Leute flüchten in die Stadt, wo sie auf brachen Flächen behelfsmässige Unterkünfte errichten. Doch die Regierung reagiert einmal mehr mit Gewalt. In Cali begann am Sonntag, 17. Mai morgens um 4 Uhr die ESMAD damit, die Leute aus den Häusern zu vertreiben und diese zu zerstören und teilweise zu verbrennen. Verhandlungen waren laut einer Aktivistin vor Ort nicht möglich. Das Ganze geschah auf einem Gründstück, das die Stadtverwaltung vor 18 Jahren mit dem Ziel erworben hatte, darauf Sozialwohnungen zu bauen. Dies ist bis heute nicht geschehen. Da die Bewohner nicht im Voraus über die Räumung informiert worden waren und es auch keine offizielle Anordnung zur Räumung gegeben hatte, verstiess die ESMAD definitiv einmal mehr gegen grundlegende Menschenrechte. Die verantwortlichen Behörden stritten ab, überhaupt Familien vertrieben zu haben.
Zwei Wochen zuvor ereignete sich Ähnliches im Süden Bogotás, im Stadtteil Ciudad Bolívar, wo Polizei und ESMAD mit Gewalt 300 Familien aus ihren Unterkünften vertrieben hatten. Die Stadtverwaltung gab an, die Aktion diene dazu, Menschenleben zu retten, weil sich die Hütten auf erdrutschgefährdetem Terrain befinden. Die seit Jahrzehnten bestehende Siedlung sollte schon von Jahren umgesiedelt werden. Die Stadtverwaltung hatte zwar angeboten, die betroffenen Familien in temporäre Lager zu bringen. Dies lehnten diese aber ab mit der Begründung des erhöhten Ansteckungsrisikos mit COVID19.
Jahresbericht von Somos Defensores:
Der jährlich erscheinende Bericht von Somos Defensores zeigt, dass 2019 das Jahr war mit der grössten Gewalt gegen soziale Führungspersonen im ganzen letzten Jahrzehnt. Die gute Nachricht war, dass die Mordrate im Vergleich zu 2018 leicht zurückgegangen war, Aggressionen allgemein sind aber angestiegen, besonders Drohungen und Anschläge. Was auffällt ist, dass über die Hälfte aller Aggressionen in nur fünf Departementen stattgefunden haben. Mit Abstand der Anführer ist der Cauca (237 Fälle), gefolgt von Antioquia (60), Arauca (52), Valle del Cauca (42) und die Guajíra (41). Die Verantwortlichen der Gewalt seien in 47% paramilitärische Strukturen gewesen, 34% Unbekannte, 13% dissidente Gruppen, 4.2% ELN und 3.5% Polizei und Militär.
Der Bericht heisst ‚Die Blindheit’ (La Ceguera) in Anspielung auf die ausweichende und verleugnende Haltung der Regierung gegenüber der Situation der sozialen Führungspersonen. Der Bericht argumentiert, dass für die Regierung nur die Reduktion der Mordrate zählt, andere Aggressionen aber ignoriert werden. Im Gegensatz dazu wird festgehalten, dass die Zivilgesellschaft viel aufmerksamer und aktiver geworden ist in Form von Anteilnahme und Protesten.
Ganzer Bericht unter: https://somosdefensores.org/informe-anual-1/
III. Tipps und Hinweise
Der Kampf des Regionalen Indigenenrates des Cauca für Einigkeit, Land, Kultur und Automie
Ende März wäre eine Vortragsreise von zwei Vertretern des Indigenen Regionalrates des Cauca CRIC geplant gewesen. Die beiden VertreterInnen wollten mit der Vortragsreise auf die schwierige Menschenrechtslage und Konfliktsituation im Departement Cauca und in den indigenen Territorien im Speziellen aufmerksam machen und die Menschenrechtsarbeit des CRIC sowie die Funktionsweise der Guardia Indigena erklären. Leider mussten wie wegen der Coronaepidemie den Besuch absagen, allenfalls wird er im Herbst nachgeholt. Stattdessen findet man jetzt auf unserer Homepage einen Text über die Lage im Cauca und ein Video über die Guardía Indígena, mit deutschen Untertiteln.
Neue KOVI-Fahnen
Die Abstimmungskampagne der Konzernverantwortungsinitiative dauert schon lange. Vielleicht habt auch ihr eine alte, bereits ausgeblichene oder zerrissene Fahne zuhause? Dann bestellt doch kostenlos eine neue, denn gerade jetzt braucht KOVI noch einmal die Unterstützung von uns allen, damit die Initiative deutlich sichtbar gemacht werden kann.
https://konzern-initiative.ch/fahnen/
Frieden, jetzt erst recht!
Jeden Dienstag publiziert das Friedensinstitut Capaz ihre Videokolumne mit dem Titel „La Paz – ahora más que nunca“, also Frieden, jetzt erst recht! Es kommen dabei verschiedene Experten zu Wort, die jeweils ein Thema besprechen, das den Frieden in Kolumbien während der Corona-Pandemie betrifft. Die Beiträge sind auf Youtube und Instagram zu finden.
https://www.youtube.com/channel/UCYcQeNAapud421CGFmUWRaA
https://www.instagram.com/instituto_capaz/
IV. Lesenswerte Artikel
– Der Amazonas und somit auch indigenes Wissen ist besonders gefährdet durch COVID19: https://www.npla.de/thema/arbeit-gesundheit/unsere-grosseltern-sterben-ein-hilferuf-aus-dem-amazonas/
– Reiche werden reicher, Arme werden ärmer: https://amerika21.de/2020/05/239595/duque-hilft-banken-arme-verhungern-kolu?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily
– Verstrickungen von Paramilitär, Drogenhandel und Regierung: https://amerika21.de/blog/2020/05/239720/kolumbien-paramilitaer-drogenhaendler?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily
– Indigene Gemeinschaften wehren sich gegen den Wasserverbrauch von Cerrejón: https://www.solidaritycollective.org/post/indigenous-communities-call-for-cerrejón-to-stop-redirecting-scarce-water-resources?can_id=c4a698ea9efd1d292d2779097f8a2256&can_id=989afc4eda7290fa2cd231f28fb39068&email_referrer=email_807085&email_subject
– Kolumbien akzeptiert die Entscheidung der USA, Kuba auf Terrorliste zu schreiben: https://amerika21.de/2020/05/239949/friedensvertrag?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily
– Wie ein indigenes Resguardo im Amazonas dem Virus entgegentritt: https://lasillavacia.com/lengua-ticuna-y-rituales-resguardo-san-sebastian-enfrenta-virus-76603
– Proteste gegen neues Dekret zum Import von Saatgut: https://www.contagioradio.com/en-colombia-estamos-importando-hasta-la-papa/
– Das Büro von ANZORC (Nationale Vereinigung für Campesino Schutzzonen) unter Beschuss: https://www.contagioradio.com/anzorc-fue-victima-de-un-atentado/
– Unerlaubte Bergbauaktivitäten in Kogi Territorium in der Guajíra: https://www.contagioradio.com/indigenas-de-la-sierra-nevada-denuncian-destruccion-de-lugar-sagrado/
Redaktion: Lisa Alvarado