Factsheet: Enorme Herausforderungen auf dem Weg zum Frieden. Die Friedensverhandlungen gehen in die letzte Phase

Nach über einem halben Jahrhundert des bewaffneten Konflikts führen die Regierung unter Präsident Santos und die Guerillagruppe FARC-EP (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) seit Oktober 2012 Friedensverhandlungen in Havanna. Die Chancen stehen gut, dass noch in diesem Jahr ein Abkommen unterzeichnet wird. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat bereits zugestimmt, die angestrebte Waffenruhe und Niederlegung der Waffen der Kämpfer_innen zu verifizieren.

gemeinsames Dokument von: Caritas International, terre des hommes Deutschland, Brot für die Welt, kolko – Menschenrechte für Kolumbien e.V., amnesty international Deutschland, Pax Christi – Kommission Solidarität Eine Welt, Misereor, Adveniat, Action pro Colombia, AG Gerechtigkeit und Frieden der dt. Franziskanerprovinz, Nürnberger Menschenrechtszentrum.

Nach über einem halben Jahrhundert des bewaffneten Konflikts führen die Regierung unter Präsident Santos und die Guerillagruppe FARC-EP (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) seit Oktober 2012 Friedensverhandlungen in Havanna. Die Chancen stehen gut, dass noch in diesem Jahr ein Abkommen unterzeichnet wird. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat bereits zugestimmt, die angestrebte Waffenruhe und Niederlegung der Waffen der Kämpfer_innen zu verifizieren.

Die Friedensverhandlungen sind eine einmalige Gelegenheit, um eine gemeinsame Friedensagenda von Staat und Zivilgesellschaft auszuarbeiten, die über die Vereinbarungen in Havanna hinausgeht und gesellschaftliche Teilhabe verfestigt. Die Vorschläge der sozialen Bewegungen zu den Themen Menschenrechte, Wirtschaftsmodell und soziale Gerechtigkeit sind wichtiger Bestandteil für die Erreichung eines nachhaltigen Friedens.

Wesentliche Konfliktursachen wurden in den Verhandlungen erfasst und Teilvereinbarungen erreicht zu: ländlicher Entwicklung, politischer Teilhabe, Drogenproblematik, zum Umgang mit den Opfern des Konflikts und zur Übergangsjustiz. Über thematische Foren und direkte Anhörungen von Opfern durch die Verhandlungsdelegationen wurde eine – begrenzte – Beteiligung der Zivilgesellschaft ermöglicht. Das Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell stand nicht zur Diskussion.

Erfahrungen aus anderen Friedensprozessen zeigen, dass allein die Unterzeichnung eines Abkommens die zugrundeliegenden Konflikte nicht lösen wird, denn das hohe Maß an Straflosigkeit sowie massive Menschenrechtsverletzungen verringern sich nicht automatisch. Auch sind (neo-)paramilitärische Gruppen weiter aktiv und werden nicht ausreichend bekämpft. Die zweitgrößte Guerillaorganisation, das Nationale Befreiungsheer (ELN), hat noch keine offiziellen Verhandlungen aufgenommen. Beide Gruppen haben in den vergangenen Monaten ihre Präsenz in einigen Landesteilen sogar verstärkt. Ihr Weiterbestehen würde einen erfolgreichen Übergangsprozess unmöglich machen.

Die zukünftige Vereinbarung wird der kolumbianischen Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werden. Dabei ist zu erwarten, dass sich die Widerstände seitens starker Interessensgruppen, die von der gegenwärtigen ungleichen Verteilung des Reichtums profitieren, verstärken. Bisher kennt ein Großteil der Bevölkerung den Stand und Inhalt der Verhandlungen kaum. Ihre Zustimmung hängt wesentlich davon ab, dass sie rechtzeitig, breit und qualifiziert informiert wird.

Die Chance auf einen nachhaltigen Frieden hängt entscheidend von der Umsetzung des vereinbarten Abkommens ab. Viele Details sind dabei noch ungeklärt und stellen eine Herausforderung für die kolumbianische Gesellschaft und ihre politischen Institutionen dar.

Landfrage: Viel Konfliktpotential bleibt bestehen

Die ungleiche Landverteilung ist eine der strukturellen und historischen Ursachen des Konflikts. Laut dem bisherigen Stand der Vereinbarung soll der Zugang zu Land zugunsten der armen und kleinbäuerlichen Bevölkerung erleichtert werden und dies durch Subventionen unterstützt werden. Die Erfahrungen mit dem Gesetz zur Opferentschädigung und Landrückgabe (Nr. 1448 von 2011) machen deutlich, dass Gesetze nicht ausreichen: in vier Jahren wurden lediglich 2% der geraubten Flächen tatsächlich zurückgegeben. Dies zeigt, dass politischer Wille und strukturelle Veränderungen notwendig sind, wenn ländliche Entwicklung nach sozialen Kriterien Erfolg haben soll.

Beispiel: Bergbau und Rohstoffpolitik

Bereits jetzt haben viele Bergbauprojekte, gerade auch transnationaler Unternehmen, gravierende Auswirkungen auf Umwelt und umliegende Gemeinden. Mit Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen sollen Gebiete erschlossen werden, die aufgrund dieser bislang für den Bergbau nicht zugänglich waren. Eine Zunahme von sozialen und Umweltkonflikten ist zu befürchten.

Die aktuelle Ausrichtung der Rohstoffpolitik steht im Widerspruch zu den kollektiven Rechten der afrokolumbianischen, indigenen und kleinbäuerlichen Gemeinden sowie zu den bisher getroffenen Teilvereinbarungen. So sieht z.B. der Nationale Entwicklungsplan 2014-2018 knapp 20% des Landes als strategische Bergbauzonen vor. Die geplanten Zonen überschneiden sich größtenteils mit indigenen Gebieten. Außerdem werden mehr als Dreiviertel aller Menschenrechtsverletzungen in Gegenden registriert, in denen die traditionelle Landwirtschaft und Fischfang aufgrund von großen Bergbauprojekten unmöglich bzw. deren Bewohner_innen vertrieben wurden. In diesem Zusammenhang sind auch gerade Menschenrechtsverteidiger_innen und Umweltaktivist_innen einem erheblichen Sicherheitsrisiko ausgesetzt. So registrierten die Vereinten Nationen 2015 682 Drohungen, wovon 69 tödlich endeten. Auch die Schaffung „ländlicher Wirtschaftsentwicklungszonen“ (sog. ZIDRES) stellt ein Hindernis für eine ernsthafte Landreform dar, denn sie ermöglicht Großunternehmern die Nutzung von Ländereien aus öffentlicher Hand, die ursprünglich zur Umverteilung an Kleinbauern vorgesehen waren. Dies widerspricht dem erklärten Ziel der Verhandlungen, für eine gerechtere Landverteilung zu sorgen.

Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte: Übergangsjustiz – Chancen und Fallstricke

Wie im Fall der Landfrage hat Kolumbien auch beim Menschenrechtsschutz in der Vergangenheit zwar „gute“ Gesetze erlassen, weist aber bei der Umsetzung extreme Defizite auf. Damit die historische Straflosigkeit von über 90% durchbrochen wird, müssen der Übergangsjustiz die erforderlichen Kompetenzen und Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Fazit

Internationale Erfahrungen zeigen: je größer die Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung und Überprüfung der Friedensvereinbarung ist, desto wahrscheinlicher wird deren Einhaltung. In Kolumbien kann hierbei auf die jahrzehntelangen Erfahrungen in partizipativen Friedensinitiativen zurückgegriffen werden. Dafür sollten Kontrollmechanismen eingerichtet werden, bei denen die Opfer des Konflikts als aktive Mitgestalter_innen Mitspracherecht haben.

Zentraler Punkt bei der Umsetzung des Friedensabkommens ist der sogenannte „Frieden in den (ländlichen) Regionen“, da die Intensität der Kämpfe regional unterschiedlich war. Über diesen Ansatz besteht weitgehende Einigkeit. Ebenso über den Schwerpunkt auf besonders betroffene Bevölkerungsgruppen: Afrokolumbianer_innen, Indigene, Frauen und Kinder. Was die Kindersoldaten anbelangt, müssen schnellstmöglich Kriterien und wirksame Programme für ihren Austritt aus allen bewaffneten Gruppen und ihre Eingliederung in das zivile Leben vereinbart werden. Diese Kinder und Jugendlichen sind ebenfalls Opfer des Konflikts.

Besonderes Augenmerk muss der kritischen Phase der konkreten Übergangsperiode (Waffenniederlegung, Konzentration der Kämpfer_innen) gewidmet werden. Hier können sich Konflikte zuspitzen, besonders weil bislang weder der ELN noch die paramilitärischen Gruppen an diesem Prozess teilnehmen. Es ist zu befürchten, dass einerseits der ELN zum Auffangbecken für nicht demobilisierungswillige FARC Kämpfer_innen wird und andererseits die demobilisierten FARC Kämpfer_innen von Paramilitärs ermordet werden.

Wir empfehlen der Bundesregierung und den Mitgliedern des Bundestags:

  • kolumbianische zivilgesellschaftliche Organisationen beim Aufbau eines nachhaltigen Friedens zu unterstützen, indem Sie Sicherheitsgarantien für deren Arbeit bei der kolumbianischen Regierung anmahnen, ihre aktive Rolle bei der Umsetzung der Vereinbarung stärken und darauf drängen, dass sie bei der Verwendung der Gelder der internationalen Kooperation konsultiert werden.
  • Politikkohärenz von deutscher Seite aus sicherzustellen. Wirtschaftsförderung und Aktivitäten deutscher Unternehmen müssen menschenrechtliche Standards einhalten und in Einklang mit den Zielen des Teilabkommens zur ländlichen Entwicklung gebracht werden.
  • die Übergangsjustiz und die Umsetzung des Abkommens kritisch zu unterstützen mit dem Ziel, dass internationale Normen und Standards garantiert und eine effiziente Umsetzung gefördert werden. Dies gilt insbesondere für die Übersetzung des Abkommens in einen gesetzlichen Rahmen.
  • ein langfristiges internationales Monitoring der Umsetzung der Vereinbarungen – politisch und mit Mitteln der deutschen EZ – zu unterstützen.
  • sich dafür einzusetzen, dass das Mandat des Büros des Hochkommissariats für Menschenrechte der VN in Kolumbien in seiner Monitoring- und Berichtsrolle zur Menschenrechtssituation im Land für die Zukunft weiter gestärkt wi
  • gegenüber der kolumbianischen Regierung auf ein effektives Vorgehen gegen die (neo-) paramilitärischen Gruppen zu drängen.

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