Die Humanitäre Situation in Kolumbien. Factsheet von Caritas International und Diakonie Katastrophenhilfe.

  Die vergessene Krise Die humanitäre Situation ist in weiten Teilen Kolumbiens nach wie vor sehr kritisch. Am stärksten betroffen sind die Pazifikregion- sowie die an die Nachbarländer angrenzenden Gebiete. Im Rahmen des seit Mitte des 20. Jahrhunderts anhaltenden internen bewaffneten Konflikts leidet insbesondere die ländliche Zivilbevölkerung unter internen Vertreibungen, der Rekrutierung Minderjähriger, Kontamination durch […]
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Die vergessene Krise
Die humanitäre Situation ist in weiten Teilen Kolumbiens nach wie vor sehr kritisch. Am stärksten betroffen sind die Pazifikregion- sowie die an die Nachbarländer angrenzenden Gebiete. Im Rahmen des seit Mitte des 20. Jahrhunderts anhaltenden internen bewaffneten Konflikts leidet insbesondere die ländliche Zivilbevölkerung unter internen Vertreibungen, der Rekrutierung Minderjähriger, Kontamination durch Landminen und Blindgänger sowie der Einschränkung von Zugang, Mobilität und Versorgung (Confinement). Zudem waren 2013 mehr als eine halbe Million Opfer von Naturkatastrophen zu verzeichnen – viele davon waren bereits vom bewaffneten Konflikt betroffen. Trotz der seit Oktober 2012 laufenden Friedensgesprächen zwischen der kolumbianischen Regierung und der größten Guerillagruppierung des Landes, FARC-EP1, verschärfen sich Konfliktintensität und humanitäre Notlage in den Konflikthochburgen. Aufgrund der komplexen Konfliktdynamik mit zahlreichen bewaffneten nichtstaatlichen Akteuren – mehrere Guerilla-Gruppen und aus den demobilisierten AUC (Paramilitärs) hervorgegangene bewaffnete Gruppen (PDAG)2 – ist eine substanzielle Verbesserung der humanitären Situation auch im Falle eines Friedensschlusses kurz- bis mittelfristig nicht absehbar. Stattdessen sinkt weiterhin die internationale Wahrnehmung des Konfliktgeschehens und der humanitären Notlage, wodurch Kolumbien eine „vergessene Krise“ zu bleiben droht (ECHO 2013).

Friedensverhandlungen und Konfliktkontext
Im Oktober 2012 nahmen die kolumbianische Regierung und die Guerilla FARC-EP Gespräche zur Beendigung des bewaffneten Konflikts auf. Auf der Agenda stehen fünf Verhandlungspunkte: Landreform, politische Teilhabe, Lösung der Drogenproblematik, Entschädigung der Opfer des bewaffneten Konfliktes und seine Beendigung. Die Verhandlungen gehen nicht mit einem Waffenstillstand einher. Somit kommt es weiter zu massiven bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Verhandlungspartnern sowie zu weitreichenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte. Gleichzeitig wird der Konflikt durch bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen staatlichen Sicherheitskräften, den an Stärke gewinnenden PDAG und der zweitgrößten Guerilla Gruppe ELN3 verschärft. Trotz der Friedensgespräche werden die Kampfhandlungen somit nahezu unvermindert fortgeführt. Ein baldiges Ende des internen bewaffneten Konflikts und eine damit einhergehende substanzielle Verbesserung der humanitären Lage der Zivilbevölkerung sind bislang nicht absehbar (OCHA 2014a).

 

Interne Vertreibungen
Nach wie vor zählt Kolumbien zu den Ländern mit den meisten Binnenvertriebenen weltweit. Von 1985 bis 2012 wurden insgesamt zwischen 5,2 (Regierungsangaben) und 5,7 (NGO CODHES) Millionen Menschen von Vertreibung im Konfliktkontext betroffen. Alleine 2012 kamen zwischen 171.841 (Regierungsangaben) und 256.590 (NGO CODHES) neue Binnenvertriebene hinzu. Indigene und afrokolumbianische Bevölkerungsgruppen sind überproportional betroffen (NRC 2014). Laut Informationen des Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (OCHA) gab es 2013 alleine 103 Massenvertreibungen, von denen insgesamt 29.697 Personen betroffen waren. Diese Zahlen liegen über denen von 2010 und 2011. Außerdem werden die Erwartungen auf unmittelbare substanzielle Verbesserungen im Rahmen eines etwaigen Nachkriegsszenarios dadurch gedämpft, dass von 2012 bis 2013 eine Zunahme massiver Vertreibungen durch PDAG um 90% festzustellen ist (OCHA 2014a). Es ist damit zu rechnen, dass die vorläufigen Regierungszahlen für 2013 (79.552 Personen) noch beträchtlich ansteigen werden, da im Juni 2013 das Verfassungsgericht angeordnet hatte, auch die Opfer von Vertreibungen durch PDAG (bis dato nur durch Guerillas) offiziell als Kriegsopfer anzuerkennen. Trotz vermehrter Anstrengungen der Regierung haben bislang nur ein Bruchteil der internen Vertriebenen seitens des Staats Notfallversorgung, materielle oder symbolische Entschädigungen und Wiedergutmachung im Rahmen des Opfergesetzes von 2011 erhalten (NRC 2014).

Rekrutierung Minderjähriger
Zwischen 1999 und April 2013 hat das Instituto Colombiano de Bienestar Familiar (ICBF) die Demobilisierung von mehr als 5.156 Jungen und Mädchen aus den Reihen der verschiedenen Konfliktakteure unterstützt (NRC 2014). Sowohl die Guerillagruppen als auch PDAG und die kolumbianische Armee rekrutieren weiterhin systematisch Minderjährige und verstoßen damit gegen das humanitäre Völkerrecht (COALICO 2013). In den letzten Jahren ist das Problembewusstsein diesbezüglich gewachsen. Dennoch zeigen sinkendes Eintrittsalter und die hohe Anzahl rekrutierter Kinder und Jugendlicher, dass die Problematik weiter systematischer Bearbeitung bedarf. Trotz der internationalen Eigenverpflichtung des kolumbianischen Staats, illegale Rekrutierung sowohl zu untersuchen als auch zu sanktionieren und die Opfer zu entschädigen, bleibt die Straffreiheit weiterhin hoch.

Landminen und nicht detonierte Munition
Von 1990 bis Ende Januar 2014 sind laut dem Programa Presidencial para Acción Integral contra Minas (PAICMA) insgesamt 10.628 Opfer von Landminen und nicht detonierter Munition zu beklagen. Dabei handelte es sich in 39% der Fälle um Zivilisten (PAICMA 2014). Im Jahr 2012 wies Kolumbien mit 496 Opfern hinter Afghanistan die zweithöchste Opferzahl weltweit auf (Landmine Monitor 2013). Im Jahr 2013 wurden in Kolumbien 38 Personen durch Landminen getötet und 321 verletzt (PAICMA 2014). Im Jahr 1997 hat die kolumbianische Regierung die Ottawa-Konvention zum Verbot von Antipersonenminen unterschrieben und sich das Ziel gesteckt, bis 2021 minenfrei zu sein. Der Prozess des humanitären Minenräumens begann 2013, ist aber zum aktuellen Zeitpunkt aufgrund der anhaltenden Konfliktdynamik und der weiterhin erfolgenden Verminung strategischer Korridore durch die Guerillagruppen nur sehr begrenzt möglich. Stattdessen muss zum Schutz der am stärksten betroffenen Zivilbevölkerung in den Konfliktgebieten weiterhin auf Sensibilisierungsmaßnahmen und Mine-Risk-Education zurückgegriffen werden (ECHO 2013).

Confinement
Durch den Konflikt werden Menschen in ihrem Zugang, der Bewegungsfreiheit und in ihrer Versorgung beeinträchtigt (Confinement): Massive soziale Proteste mit Straßenblockaden, die Kontamination durch Antipersonenminen und weitere im Konfliktkontext erhöhte Risiken wie sexuelle Gewalt, Bedrohung und selektive Morde schränken die Zivilbevölkerung in ihrer Mobilität und somit in ihrem Zugang zu ihren Feldern, Nahrungsmitteln, Gütern des täglichen Grundbedarfs und staatlichen Serviceleistungen stark ein. Auch der humanitäre Zugang zu den betroffenen Gebieten war zeitweise beeinträchtigt oder unmöglich. Aufgrund der zunehmenden Relevanz im Konfliktkontext, wird Confinement seit 2013 von OCHA in das humanitäre Monitoring einbezogen. Demnach waren im Vorjahr mehr als 270.000 Personen von 31 Confinement-Situationen betroffen, die durchschnittlich 125 Tage dauerten. Besonders stark wirkte sich dies auf die von den FARC-EP kontrollierten Gebiete in den Regionen Caquetá und Catatumbo aus (OCHA 2014a).

Humanitäre Bedarfslage
Während die staatliche Antwort auf die humanitäre Bedarfslage ungenügend ist oder gänzlich ausbleibt, decken internationale Akteure aufgrund fehlender Mittel den humanitären Bedarf auch nur teilweise ab. Unabhängige Nothilfemaßnahmen durch die Vereinten Nationen und zivilgesellschaftlichen Organisationen sind weiterhin dringend nötig, akuter Bedarf besteht vor allem bei Binnenvertriebenen an Zugang zu Lebensmitteln, sauberem Wasser, angemessenem Wohnraum sowie an humanitären Schutzmaßnahmen im Konfliktkontext. Des Weiteren wird der Bedarf bei der Versorgung von Minenopfern und bei Maßnahmen zur Prävention von Schäden durch Gewalt oder Naturkatastrophen als hoch eingestuft (ECHO 2013).

Empfehlungen an die Bundesregierung und die Institutionen der EU
Die Finanzierung unabhängiger humanitärer Hilfe in Kolumbien, inklusive humanitärer Schutz-, Präventions-, und Integrationsmaßnahmen, sollte sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene verbessert werden.
Die Einhaltung des humanitären Völkerrechts gegenüber der Zivilbevölkerung sollte bei allen Konfliktparteien angemahnt, die kolumbianische Regierung sollte zur adäquaten Versorgung und Entschädigung der zivilen Opfer des bewaffneten Konfliktes aufgefordert werden.

Kontakt
Diakonie Katastrophenhilfe: Daniela Simm – Kontinentalverantwortliche Lateinamerika und Karibik, Email: daniela.simm@diakonie-katastrophenhilfe.de, Tel. 030-65 211 17 02
Caritas international: Philipp Lang – Länderreferent Kolumbien,
Email: philipp.lang@caritas.de, Tel. 0761-200 298