Kolumbien-aktuell No. 623 | April 2022

Diesen Monat findet ihr in unserem Newsletter eine Mischung aus positiven und negativen Nachrichten. Einerseits stehen wieder einmal oder weiterhin die Interessen globaler, mächtiger Akteure im Zentrum; ein anderer Artikel diskutiert nationale Machtaspekte und deren Auswirkungen in den Medien. Andererseits haben ehemalige Militärangehörige an von der JEP organisierten Veranstaltungen Kriegsverbrechen öffentlich zugegeben und das Fracking Pilotprojekt in Puerto Wilches ist bis auf Weiteres suspendiert. Auch die Arbeit der Wahrheitskommission trägt Früchte und wächst auch in der Schweiz. Obwohl also die Machtverteilung häufig ungerecht ist und immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen führt, kann Widerstand von unten durchaus auch erfolgreich sein.

Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien -Ask!

Kolumbien-aktuell N° 623 April 2022

I. Artikel

 Die Rettung des Bruno-Flusses steht auf Messers Schneide

Die Wasserversorgung, die Spiritualität und das Ökosystem der Wayuu als Spielball wirtschaftlicher Interessen und juristischer Auseinandersetzungen.

(Von Stephan Suhner)

https://www.askonline.ch/themen/wirtschaft-menschenrechte/die-rettung-des-bruno-flusses-steht-auf-messers-schneide%ef%bf%bc

 «Es ist nicht das erste Mal, dass schwangere Frauen und Kinder in einer Militäraktion sterben»

Ende März gab es im Putumayo laut verschiedenen Quellen ein Massaker. Laut Verteidigungsminister Molano und Präsident Duque handelte es sich keinesfalls um ein Massaker, sondern um eine erfolgreich durchgeführte Militäraktion. Zeugenberichte und verschiedene, sich widersprechende Aussagen des Militärs stehen sich gegenüber.

(Von Lisa Alvarado)

https://www.askonline.ch/themen/menschenrechte/es-ist-nicht-das-erste-mal-dass-schwangere-frauen-und-kinder-in-einer-militaeraktion-sterben%ef%bf%bc

 Kolumbianer*innen im Exil in der Schweiz

Als Beitrag aus der Schweiz zur Arbeit der Wahrheitskommission, die die Vergangenheit, die Konfliktursachen und – Auswirkungen aufarbeitet, organisierte swisspeace zusammen mit Vertreter*innen der kolumbianischen Diaspora und der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien einen Workshop zum Thema Exil aus Kolumbien in der Schweiz. Herausforderungen für die Menschen, die aus Kolumbien in die Schweiz flüchten, wurden aus einer historischen Perspektive diskutiert, aber auch mögliche Aktionen für die Zukunft.  Dieser Artikel stellt einzelne Diskussionspunkte vor. Ein umfassender Bericht und Schlussfolgerungen des Workshops werden noch ausgearbeitet. 

(Von Carla Ruta)

https://www.askonline.ch/themen/menschenrechte/kolumbianerinnen-im-exil-in-der-schweiz

 

 II. Apropos

 Kampagne gegen Petro:

Die Kampagne der Regierungspartei, unterstützt vom Militär, gegen Präsidentschaftskandidat Gustavo Petro wird immer stärker. Ivan Duque hat bereits in über 30 Aussagen entweder Petro selbst oder seine politischen Pläne öffentlich kritisiert. Das Thema wurde bereits in der Wahlgarantiekommission diskutiert, wo der Richter des nationalen Wahlrats, Luis Guillermo Pérez, auf die konstante Einmischung des Präsidenten in Petro’s Kampagne aufmerksam machte. Der Duque nahestehende Innenminister Daniel Palacios, der Präsident der Wahlgarantiekommission ist, erwiderte, dass sein Chef bloss seine Meinungsfreiheit ausübe. Allerdings verbietet die Verfassung die Einmischung des Präsidenten in Wahlkampagnen. Präsidentschaftskandidaten können und sollen von der öffentlichen Meinung unter die Lupe genommen werden und Themen wie der Besuch von Petro’s Bruder im Gefängnis La Picota in Bogotá oder dem späten Ausschluss von Piedad Córdoba aus dem Pacto Histórico sollen genau analysiert werden. Aber nicht von hohen Funktionären der Regierung. Jetzt hat sogar der höchste Kommandant des Militärs, Eduardo Enrique Zapateiro, auf Twitter gegen Petro geschossen und Semana hat einen Artikel publiziert, wo verschiedene Militärangehörige sich gegen Petro wenden. Die öffentlichen Sicherheitskräfte stehen unter jeglichen Umständen unter der Pflicht, sich politisch neutral zu halten und somit wurden diese Aussagen bereits dahingehend analysiert, ob denn das Militär einen Sieg von Petro eventuell nicht akzeptieren würde.

https://cambiocolombia.com/articulo/poder/el-estado-contra-gustavo-petro

https://www.wradio.com.co/2022/04/18/habla-uno-de-los-politicos-presos-que-se-reunieron-con-el-hermano-de-gustavo-petro/

https://amerika21.de/2022/04/257731/schmutzkampagne-gegen-petro-kolumbien?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

https://amerika21.de/2022/04/257709/eskalation-der-gewalt-kolumbien?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=weekly

https://amerika21.de/2022/04/257785/general-attackiert-petro-kolumbien?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

 

Kohle für Deutschland aus Kolumbien:

Der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Sanktionen gegen Russland wirken sich auf fast die ganze Welt aus. So hat jetzt auch Präsident Duque nach einem Telefongespräch mit Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz versprochen, die kurzfristige Erhöhung der Kohleexporte nach Deutschland zu prüfen. Nachdem die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock ankündigte, dass Deutschland bis Ende Jahr vollständig aus dem russischen Energieimport aussteigen werde, muss das Land nach neuen Lösungen suchen. Bisher ist die EU zu rund 45 Prozent bei Kohle und Gas und 25 Prozent bei Ölimporten von Russland abhängig. Das Kollektiv der kolumbianischen Diaspora ‘Unidos por la Paz – Alemania’ lehnt die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Duque aufgrund der immer wiederkehrenden Menschenrechts- und Umweltverletzungen im kolumbianischen Kohleabbau vehement ab. Wie die ask! immer wieder berichtet, befindet sich die grösste Kohlemine im Besitz von Glencore, ‘El Cerrejón’ in der Guajira, wo die Bevölkerung seit Jahrzehnten unter den Auswirkungen der Mine leidet. 

https://amerika21.de/2022/04/257734/kolumbien-deutschland-steinkohle?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=weekly

https://www.unidosporlapaz.de/post/ablehnung-der-importzunahme-von-kolumbianischer-kohle-nach-deutschland-1

https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-1023425.html

https://www.rnd.de/politik/kolumbien-kohle-embargo-gegen-russland-bedroht-menschenleben-XNSRAQYXSRFPHD6EKLYFI3G2QY.html

https://taz.de/Umstrittene-Kohle-aus-Kolumbien/!5851664/

 

Ex-Militär gestehen Kriegsverbrechen:

Am Dienstag, 26. April war ein historischer Tag für den Friedensprozess in Kolumbien. Zehn Ex-Militärs, darunter ein ehemaliger General, anerkannten die begangenen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit den sogenannten «falsos positivos» vor der JEP. An dem Anlass in Ocaña (eine Gemeinde im Catatumbo, wo besonders viele «falsos positivos» begangen wurden) im Departement Norte de Santander sprachen sowohl ehemalige Militärangehörige verschiedenen Grades wie auch Opfer dieser Praktik. Zehn Ex-Militär und eine Zivilperson erzählten wie sie in den Jahren 2007 und 2008, unter dem Druck der Befehle, mehr als 100 Zivilpersonen im Norte de Santander ermordet hatten. Die Verantwortlichen erzählten auch, wie sie mit paramilitärischen Gruppen zusammengearbeitet hatten. Von Seiten der Opfer sprach als Erste Claudia Patricia Barrientos aus Tibú. Sie sprach über die Ängste der Zivilbevölkerung, wenn sie an Militärposten vorbei müssen und jedes Mal gefragt werden, von welcher Gruppe sie seien. Sie bot den anwesenden Ex-Militär ein T-shirt mit dem Aufdruck ‘Quién dió la órden?’ an, mit einer Einladung, gemeinsam nach den höchsten Verantwortlichen zu suchen.

Einige Tage später sagte Duque, dass diese bedauerlichen Einzelfälle hart von der Justiz bestraft werden sollen, und beharrte darauf, dass es sich eben um Einzelfälle handle und nicht um systematisches Vorgehen des Militärs, wie es bestimmte Ex-Militärs an der Veranstaltung beschrieben.

https://www.zeit.de/news/2022-04/27/kolumbien-ex-militaers-gestehen-kriegsverbrechen

https://cambiocolombia.com/articulo/conflicto/no-voy-justificar-lo-que-hice-asesinamos-personas-inocentes

https://www.youtube.com/watch?v=VtiqNqn30l8

 

Fracking in Puerto Wilches bis auf Weiteres suspendiert:

Das Fracking Pilotprojekt in Puerto Wilches (Santander) wurde aufgrund fehlender vorgängiger Konsultation der ansässigen Afro-Gemeinschaften suspendiert. Die zuständige Richterin entschied am 21. April, dass das Projekt ab sofort blockiert bleibt, bis die obligatorischen Konsultationen stattgefunden haben. Dies bedeutet laut der Kolumbien-frei-von-fracking-Allianz ein Sieg der afrokolumbianischen Gemeinschaften und Umweltorganisationen, die sich bereits jahrelang gegen die Entwicklung des Frackings gewehrt hatten, da wissenschaftlich bewiesen ist, dass es sich um eine Technik handelt, die Wasser und Umwelt schadet. Nachdem die nationale Umweltgenehmigungsbehörde (ANLA) das Projekt von Ecopetrol vor gut einem Jahr bewilligt hatte, legten die ansässigen Gemeinschaften eine Grundrechtsklage ein, die jetzt von der zuständigen Richterin als gültig erklärt wurde. Sie wies dabei auf klar bewiesene Verletzungen von Grundrechten der Gemeinschaften hin, die bereits seit Beginn der experimentellen Phase des Projekts begangen wurden.

https://www.contagioradio.com/suspenden-fracking/

 

 III. Tipps und Hinweise

 

Tote Flüsse, Rohstoffhandel und mein Handy

Dienstag, 24. Mai 2022, 18:30 Uhr, Peterskapelle Luzern

Ein Blick nach Peru zeigt auf, welche Auswirkungen unser Konsum in der Schweiz und der Handel von Rohstoffen auf Länder des Südens haben. Den Preis für unseren hohen Lebensstandard bezahlen die Menschen in Ländern, wo die dafür notwendigen Rohstoffe abgebaut werden. Es geht um die Auswirkungen des Rohstoffabbaus auf die Umwelt und die Rolle von Schweizer Rohstoffkonzernen.

Sprecher: Nicole Maron, Regisseurin des Films «Das Blut des Flusses»,

Stephan Suhner, Fachstellenleiter der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ask!)

Die Veranstaltung wird organisiert durch die katholische Kirche der Stadt Luzern und Comundo.

Eintritt frei, keine Anmeldung erforderlich

https://www.askonline.ch/veranstaltungen/colombie-mise-en-oeuvre-de-laccord-de-paix-le-difficile-chemin-vers-la-paix-et-la-reconciliation

https://www.comundo.org/de/events/tote-fluesse-rohstoffhandel-und-mein-handy-6333

 

Wahlen und Gewalt gegen Aktivist*innen in Kolumbien

Dienstag, 31. Mai 2022, 20:00 Uhr, Breitsch-Träff, Bern

Gloria Orcué, Menschenrechtsverteidigerin und Carlos Morales, Präsident der Corporación Acción Humanitaria por la convivencia y la paz en el nordeste antioqueño sprechen über das Thema Wahlen und Gewalt gegen Aktivist*innen in Kolumbien. Eine Veranstaltung von Peacebrigades und der ask!

Anmeldung: info@peacebrigades.ch

https://www.askonline.ch/veranstaltungen/wahlen-und-gewalt-gegen-aktivistinnen-in-kolumbien

 

Bücher aus und zu Kolumbien:

Die ask! hat Zugang zu historischen Büchern aus und zu Kolumbien ab den 1980er Jahren. Interessierte können sich gerne unter kommunikation@askonline.ch melden.

 

Video zu Gewerkschafter*innen aus Peru und Kolumbien:

Der Verein Multiwatch hat ein Video gemacht über die Glencore GV am 28.4.2022 und andere Veranstaltungen in der Schweiz, wo auch Gewerkschafter*innen aus Peru und Kolumbien in Protest anwesend waren.

https://www.youtube.com/watch?v=Kw_6yWDPNwo

 

Missbräuchliche Klagen gegen Schweizer NGOs nehmen zu:

Klagen und Klagedrohungen (sogenannte SLAPPs: Strategic Lawsuits against Public Participation) durch Unternehmen und Potentaten wirken sich verstärkt negativ auf die Arbeit von NGOs in der Schweiz aus. Eine qualitative Analyse des Hilfswerk HEKS legt offen, dass Klagen und Drohungen gegen NGOs in den letzten Jahren stark zugenommen haben und bereits sechs der elf befragten Schweizer NGOs von Klagen durch multinationale Unternehmen und Potentaten betroffen sind. Dabei sind die meisten NGOs sowohl von zivilrechtlichen wie strafrechtlichen Verfahren betroffen und 11 der insgesamt 12 Klagen gegen NGOs wurden seit 2018 eingereicht. Am 5. Mai fand eine Konferenz in Zürich mit Gästen aus Europa und der Schweiz statt, wo die Öffentlichkeit auf die Problematik aufmerksam machen und mit betroffenen Journalist:innen und NGO-Mitarbeitenden über Handlungsoptionen diskutierten. Anlass für die Tagung bot der diesen Monat von der EU veröffentlichte Gesetzesvorschlag, der an der Konferenz vorgestellt wurde. Johanna Michel, Kampagnenleiterin des Bruno Manser Fonds, betont: «Die letzte Woche publizierte EU-Direktive ist ein Meilenstein für Medienschaffende und NGOs in der EU. Nun müssen auch in der Schweiz politische Impulse gesetzt werden.»

Zeitungsbericht der WOZ: https://www.woz.ch/2218/konzerne-gegen-ngos/sie-wollen-dass-wir-sie-in-ruhe-lassen

 

 IV. Lesenswerte Artikel

 

 Redaktion: Lisa Alvarado