Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien -Ask!
Aktuelle Situation des Bruno-Flusses.
Von Stephan Suhner
Die Wasserversorgung, die Spiritualität und das Ökosystem der Wayuu als Spielball wirtschaftlicher Interessen und juristischer Auseinandersetzungen.
Die von der Kohlenmine El Cerrejón durchgeführte Umleitung des Flusses Bruno hat möglicherweise schwerwiegende, ja nicht wieder gut zu machende Nachteile für die Umwelt und die Gemeinschaften, die entlang des Flusses leben, ist er doch einer der letzten grösseren Zuflüsse des Ranchería Flusses und für die Wasserversorgung von Tausenden Personen wichtig. Die Gemeinschaften im Bereich der Flussumleitung trauten den Plänen von Cerrejón und den Bewilligungen der Regierungsbehörden nicht und klagten gegen die Umleitung. Vor dem Verfassungsgericht bekamen sie 2017 schlussendlich Recht, aber in der Zwischenzeit hatte Cerrejón die Umleitung praktisch fertiggestellt gehabt. Das Verfassungsgericht entschied im Urteil SU 698 von 2017, dass der Bruno zumindest vorübergehend in sein ursprüngliches Bett zurückgeleitet werden müsse und in der Zwischenzeit ein interinstitutioneller Arbeitstisch 10 Fragen in Bezug auf die Umleitung, den Wasserhaushalt der Region und die Folgen für Umwelt und Anwohner klären müsse. Veröffentlicht wurde das Urteil komischerweise erst 2019, was dessen Umsetzung erheblich verzögerte. Der interinstitutionelle Arbeitstisch entschied rasch, dass der Arroyo Bruno nicht mehr in den alten Lauf zurückgeleitet werden könne, da dies zu noch grösseren Problemen und Schäden führen würde. Ansonsten kam die Arbeit des Tisches schleppend voran und die Gemeinschaften beklagten, dass sie und unabhängige Experten nicht gehört würden.
Wegen dem Urteil des Verfassungsgerichtes blieb Cerrejón aber der Abbau der Kohle im Abschnitt La Puente, unter dem ehemaligen Flussbett, verwehrt. Die dort liegende Kohle wäre leicht abbaubar und von guter Qualität und für die Produktionsziele von Glencore-Cerrejón wichtig. Deshalb versuchte Glencore zuerst mit der Androhung einer Investitionsschutzklage mit der kolumbianischen Regierung eine aussergerichtliche Lösung und Einigung zu finden. Als dies nicht gelang, reichte Glencore diese Klage gegen den kolumbianischen Staat dann beim Weltbankschiedsgericht ein[1]. Glencore führte an, dass sie über sämtliche Bewilligungen des Staates verfügten und die Arbeiten höchsten Ingenieursansprüchen genügen würden. Das Urteil des Verfassungsgerichtes würde der Arbeit sämtlicher zuständiger und kompetenter Behörden Kolumbiens der letzten zehn Jahre widersprechen und sei deshalb willkürlich und diskriminierend. Insbesondere beklagte Glencore, dass kein anderes Projekt je solche zusätzlichen Auflagen wie die vom Verfassungsgericht angeordneten zu erfüllen gehabt habe. V.a. dieser interinstitutionelle Arbeitstisch sei ein eigenartiges Instrument, dessen Befugnisse innerhalb der kolumbianischen Rechtsordnung unklar seien. Auch würden die Rechte von Cerrejón, das La Puente Projekt umzusetzen, durch diesen Arbeitstisch und die rückwirkende Überprüfung der durch die zuständigen Behörden erteilten Bewilligung ungebührlich eingeschränkt.
In Gesprächen mit der ask! im März 2022 betonte Glencore, dass die Klage nicht als Druckversuch verstanden werden soll und es klar sei, dass die kolumbianische Regierung sich nicht einfach so über das Urteil des Verfassungsgerichtes hinwegsetzen könne. Glencore wolle damit auch nicht die kolumbianische Rechtsprechung schwächen und habe viel Zeit eingeräumt, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Der interinstitutionelle Arbeitstisch habe aber viel zu langsam gearbeitet. Glencore hoffe nun auf einen baldigen Abschluss des Arbeitstisches. Je nach endgültiger Schlussfolgerung des Arbeitstisches würde sich Glencore überlegen, wie es mit der hängigen Klage beim Weltbankschiedsgericht weiter gehen soll. Auch dieser Schiedsspruch könne dem kolumbianischen Staat nicht befehlen, was er zu tun habe und wie er das Urteil des Verfassungsgerichtes umzusetzen habe. Der Schiedsspruch werde sich also v.a. mit dem Glencore entstandenen Schaden befassen müssen. Weiter in die Details ging Glencore bezüglich dem, was sie sich vom Schiedsgericht erhoffen, nicht.
Am 6. April 2022 hat der interinstitutionelle Arbeitstisch nun seine Abschlussstudie veröffentlicht, die bei den klageführenden Gemeinschaften auf Unverständnis stösst. Die kolumbianischen Regierungsinstitutionen würden die Vorgaben des Verfassungsgerichtes verletzen, in dem sie beschliessen, die Umleitung des Flusses Bruno nicht rückgängig zu machen, so die klagenden Gemeinschaften. Das Communiqué[2] der Gemeinschaften hält nochmals fest, dass das Urteil SU 698 von 2017 die Einrichtung eines interinstitutionellen Arbeitstisches verlangte, der 10 Fragen rund um die Umleitung des Arroyo Bruno mit Hilfe von Experten und unter Berücksichtigung der betroffenen Gemeinschaften klären sollte. Nun habe dieser Tisch am 6. April 2022 seinen Schlussbericht veröffentlicht, der in den Augen der Wayuu-Gemeinschaften, die Klage gegen die Umleitung führten, technisch ungenügend, willkürlich und vorwiegend auf Informationen des Unternehmens Cerrejón basierend sei. Die Arbeit des Interinstitutionellen Arbeitstisches habe keine effektive und wirkliche Teilnahme der betroffenen Gemeinschaften ermöglicht und der Schlussbericht sei weder durch die technischen Berater validiert noch juristisch überprüft worden.
Der Arbeitstisch, an dem das Unternehmen Cerrejón teilnahm, kam in dieser Studie zum Schluss, dass der Fluss im neuen künstlichen Kanal verbleiben soll. Damit soll es dem Unternehmen ermöglicht werden, die Ausbeutung der Kohle unter dem alten Flussbett in Angriff zu nehmen. Am 6. April 2022 teilte die Beamtin des Umweltministeriums Andrea Corzo Álvarez per Mail mit, dass mit dieser Schlussversion der Studie den Ansprüchen des Urteils des Verfassungsgerichtes Genüge getan worden sei. Ebenso wurde gesagt, dass die Empfehlungen bezüglich Kosmologie, Spiritualität und Kultur durch die Beiträge der Gemeinschaft La Horqueta berücksichtigt worden seien und für alle Gemeinschaften, die durch das Urteil abgedeckt sind, Gültigkeit habe. Im Gegenzug für die Erlaubnis, das natürliche Ökosystem des Arroyo Bruno zu zerstören, offeriere Cerrejón Kompensationsmassnahmen wie den Bau eines Ortes für Rituale und den Ausbau von Baumschulen, beklagen die betroffenen Gemeinschaften. Der Entscheid des Arbeitstisches sei alarmierend, da das Unternehmen schon 2017 – während der juristische Prozess am Laufen war – die Umleitungsarbeiten beschleunigt habe, um Tatsachen zu schaffen. Es bestehe nun also das Risiko, dass allein mit der Fertigstellung dieser Studie die Zerstörung des natürlichen ursprünglichen Flusslaufes gutgeheissen wird, ohne eine juristische Überprüfung und ohne die Zustimmung der Wayuu-Gemeinschaften.
In der ganzen Zeit die vergangen ist, seit das Urteil 2019 veröffentlicht wurde, wurden unzählige Berichte und Schreiben bezüglich der Missachtung der Anordnungen des Urteils an die Justizbehörden geschickt, ohne dass diese Schreiben bisher beantwortet worden wären. Sowohl in der Erarbeitung der nun vorliegenden Studie wie auch im Konzept von 2019, mit welchem die provisorische Massnahme der Rückkehr des Arroyo Bruno in den ursprünglichen Lauf abgelehnt wurde, haben die Behörden Vorgaben und Kriterien des Urteils offen missachtet. Sie haben sich darauf beschränkt, die guten Eigenschaften des künstlichen Kanales hervorzuheben, gestützt auf Informationen, die hauptsächlich vom Unternehmen stammen, und ohne eine vergleichende Evaluation mit dem ursprünglichen Flusslauf vorzunehmen. Die ganze Zeit haben sich die zuständigen Behörden so verhalten, wie wenn das Urteil des Verfassungsgerichtes keinen Wert hätte.
Obwohl öffentlich beklagt wurde, dass die Abflussmenge des Arroyo Bruno nach der Umleitung signifikant abgenommen hatte und in Trockenperioden praktisch ganz versiegt, macht das Unternehmen weiter Werbung für den künstlichen Kanal mit dem die Gemeinschaften keine spirituelle Beziehung haben und dessen Zugang durch private Sicherheitskräfte des Unternehmens und durch die Armee eingeschränkt wird. Eine künstliche Autobahn, gebaut, damit in der Regenzeit das Wasser abfliesst, kann einen natürlichen Arroyo mit seinen ökosystemischen und spirituellen Beziehungen nicht ersetzen.
In einem Territorium, das gegenüber dem Klimawandel sehr verletzlich ist, und das wegen Wasser- und Nahrungsmangel eine schwere, anerkannte humanitäre Krise durchmacht, würden der Arroyo Bruno und das mit ihm verbundene Grundwassersystem, das Ökosystem des tropischen Trockenwaldes und die kulturellen und spirituellen Verbindungen zerstört, mit dem alleinigen Zweck, den Megabergbau in der Guajira auszudehnen.
Das Verfassungsgericht hat am 8. April 2022 bekannt gegeben, die Überprüfung der Einhaltung der Anordnungen des Urteiles SU 698/17 wiederaufzunehmen. Sie machten dabei klar, dass nicht wieder gutzumachende Schäden am Ökosystem und am Wasserhaushalt entstehen könnten. Diese Überprüfung durch das Verfassungsgericht wurden Mitte 2021 durch das Anwaltskollektiv CAJAR erbeten. Das Verfassungsgericht forderte von Unternehmen und Behörden Berichte über die Umsetzung ein. Cerrejón lehnte die Überprüfung durch das Verfassungsgericht ab, die staatlichen Bergbau- und Umweltbehörden betonten, die Umsetzung sei vollständig erfolgt. Kontrollbehörden wie der Rechnungsprüfungshof (Contraloria) stellten jedoch verschiedenste Mängel und Versäumnisse bei der Umsetzung fest.[3]
Im Kampf der Gemeinschaften gegen diese Umleitung des Arroyo Bruno und der Ausdehnung des Kohleabbaus kam es zu Drohungen, Einschüchterungen, Anfeindungen und Stigmatisierung gegen die Führungspersonen. Zudem hat das Unternehmen Spaltungen, Uneinigkeit und Konflikte in den Gemeinschaften geschaffen, in dem sie Geld und Reparaturen z.B. an Häusern offerierte. Zu dieser ganzen Problematik hinzu kommt der Druck der Multis Glencore und Anglo American, die den kolumbianischen Staat vor dem Weltbankschiedsgericht auf Schadenersatz verklagt haben. Mit der Klage wollen sie eine hohe Entschädigung einfordern wegen dem Entscheid des Verfassungsgerichtes, die Zerstörung des Arroyo Bruno zu stoppen. Die Unternehmen hatten die Massnahmen des Verfassungsgerichtes als diskriminierend, willkürlich und unvernünftig disqualifiziert.
Kurz nach Veröffentlichung des Schlussberichtes des Arbeitstisches und den erneuten Protesten und Lobbyaktivitäten der betroffenen Gemeinschaften, kam es zu gewaltsamen Übergriffen und Attentatsversuchen gegen Gemeinschaften und Führungspersonen. Bewaffnete Männer auf Motorrädern schüchterten am 12. April 2022 die Bewohner der Gemeinschaft La Gran Parada ein. Die Männer auf Motorrädern seien gemäss Zeugenaussagen mit Langwaffen bewaffnet gewesen und hätten versucht, durch das Eingangstor zum Haus der Mutter der Führungsperson der Wayuu und Verteidiger des Territoriums, Luis Misael Socarrás einzudringen. Die Männer hätten geschrien, dass „es hier sein müsse, dass er in einem der Häuser sein müsse“, und dass sie über drei Stunden im Gebiet geblieben seien. Dieser Vorfall gesellt sich zu einem Vorfall, der am 8. April 2022 geschah, als acht bewaffnete Männer in Militärkleidung einen Sohn von Luis Misael festhielten und befragten, als dieser auf einem Motorrad auf der Strasse nach Albania unterwegs war. Die Gemeinschaft von La Gran Parada ist diejenige Gemeinschaft, die von der Umleitung des Arroyo Bruno am stärksten betroffen ist und ihr Lebensstil und ihre Versorgung hängen von dieser Wasserquelle ab. Daher hat La Gran Parada am meisten Aktionen durchgeführt, um zu verhindern, dass die kolumbianische Regierung die Ausbeutung der Kohle beim umgeleiteten Fluss erlaubt. Luis Misael Socarrás verfügt über Schutzmassnahmen innerhalb des staatlichen Schutzprogramms für die Basisbewegung Fuerza Mujeres Wayuu. Die Nationale Schutzbehörde UNP hat noch im März 2022 das ausserordentliche Sicherheitsrisiko für Luis Misael bestätigt. Auf Grund der jüngsten Ereignisse haben die sozialen und indigenen Organisationen die dringende Überprüfung des Risikoprofiles und Garantien für eine ethnisch differentielle Implementierung der Schutzmassnahmen gefordert. Die Stimme von Luis Misael Socarrás darf nicht zum Schweigen gebracht werden![4]
Fazit der ask!
Kolumbiens Umweltbehörden sind schwach und gerne bereit, den Rohstoffabbau zu ermöglichen. Die Verfahren zur Erteilung der Umweltlizenzen weisen gravierende Mängel auf und geben den betroffenen Gemeinschaften zu wenig Spielraum, um sich wirklich Gehör zu verschaffen und sich einzubringen. Selbst nachdem eine der höchsten Gerichtsinstanzen Kolumbiens den Gemeinschaften Recht gab, war es unmöglich, dass diese direktbetroffenen Gemeinschaften wirklich Gehör fanden. Es ist sehr schwer mit zu verfolgen, wie fünf Jahre nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes die Gemeinschaften immer noch auf fast verlorenem Posten für ihr lebenswichtiges Wasser und Ökosystem kämpfen, und dabei sogar konkreten Todesdrohungen ausgesetzt sind. Ein Stück weit ist es verständlich, wenn Glencore erwartet, auf Grund der erteilten Lizenzen die Kohleausbeutung vornehmen zu können. Aber wenn Glencore mit umfassender Sorgfaltspflicht an ein solches Projekt herangehen würde, würden sie ja auch feststellen, dass es Gemeinschaften gibt, die sich nicht angehört fühlen, die Zweifel und Sorgen haben. Glencore sollte sich den Schwächen der Bewilligungsverfahren bewusst sein, an der korrekten Umsetzung der Urteile in gutem Glauben mitwirken und nicht permanent versuchen, sämtliche Entscheidungen zu ihren Gunsten abzuwandeln. Dass Glencore gegen höchstrichterliche Entscheidungen zum Schutz von Mensch und Umwelt in Kolumbien beim Weltbankschiedsgericht klagen kann, ist ein Skandal. Der Spielraum Kolumbiens, Menschenrechte und Umwelt zu schützen wird dabei massiv eingeschränkt. Die Schweiz sollte diese Investitionsschutzabkommen, die Grundlage für derartige Klagen sind, neu verhandeln und zumindest um griffige Menschenrechtsklauseln ergänzen. Glencore muss seinen Versprechen, die Menschenrechte und die Umwelt zu respektieren, endlich konkrete Taten folgen lassen. Es genügt nicht mehr, frisierte Hochglanzbroschüren zu produzieren, Plakate auf Plätzen und in Bussen aufzuhängen und in Kolumbien ganzseitige Zeitungsinserate zu schalten. Die Beweislast für ein verändertes Verhalten liegt definitiv bei Glencore!
[1]https://ciarglobal.com/nuevo-arbitraje-de-glencore-contra-colombia-despues-del-anuncio-de-retirada/;https://www.asuntoslegales.com.co/actualidad/el-estado-enfrenta-nueva-demanda-de-la-empresa-suiza-glencore-por-disputa-de-inversion-3179462
[2]https://www.colectivodeabogados.org/alerta-urgente-gobierno-avala-la-destruccion-del-arroyo-bruno/
[3]https://www.colectivodeabogados.org/la-corte-constitucional-decidio-tomar-cartas-en-el-asunto-del-arroyo-bruno-y-ordeno-nuevas-pruebas/
[4]https://sintracarbon.org/sala-de-prensa/sintracarbon-rechaza-hostigamientos-a-comunidad-wayuu-defensora-del-arroyo-bruno/;https://www.facebook.com/laguajirahabla/photos/pcb.3133334860260934/3133334773594276