Para-politisch, paramilitärisch und paradox: die aktuelle Situation in Kolumbien

William Bastidas, kolko e. V. Eine Reihe von Enthüllungen bringt in Kolumbien Dinge zu Tage, die vielen längst bekannt sind und die so manche vertuschen wollen: die engen Bande zwischen Staat und paramilitärischen Gruppen Am 11. März 2006 verhafteten Beamte der Staatsanwaltschaft den Paramilitär Edgar Ignacio Fierro Florez alias „Don Antonio“. Fünf Tage zuvor hatte […]

William Bastidas, kolko e. V.

Eine Reihe von Enthüllungen bringt in Kolumbien Dinge zu Tage, die vielen längst bekannt sind und die so manche vertuschen wollen: die engen Bande zwischen Staat und paramilitärischen Gruppen

Am 11. März 2006 verhafteten Beamte der Staatsanwaltschaft den Paramilitär Edgar Ignacio Fierro Florez alias „Don Antonio“. Fünf Tage zuvor hatte Fierro Florez im Zuge der so genannten Demobilisierung der Paramilitärs seine Waffen abgegeben. Die Behörden suchten ihn dennoch wegen schweren Totschlags und Erpressung. Bei seiner Verhaftung hatte „Don Antonio“ unter anderem zwei Computer, zwei USB-Sticks und CDs mit Daten sowie mehrere Schriftstücke bei sich. Die darin enthaltenen Informationen sollten für eine Flut von Skandalen auf politischer Ebene sorgen.

Mit dem Fund stießen die Beamten der Staatsanwaltschaft auf zahllose schwerwiegende Beweise für Verbindungen zwischen den illegalen paramilitärischen Gruppen und hochrangigen Politikern, Unternehmern, Militärs und anderen Persönlichkeiten. „Don Antonio“ hatte im Jahr 2002 seinen Abschied von den staatlichen Streitkräften genommen und sich danach den paramilitärischen Gruppen unter dem Befehl von Rodrigo Tovar Pupo angeschlossen; letzterer ist besser bekannt als „Jorge 40“. Er war nach Salvatore Mancuso der zweite Mann in der Hierarchie des „Bloque Norte“ (nördlichen Blocks) der Paramilitärs. Die von der Staatsanwaltschaft entdeckten Informationen untermauern außerdem das, was Menschenrechtsorganisationen seit Beginn der Demobilisierung betonen: dass der Demobilisierungsprozess zur Farce verkommt, und dass die paramilitärischen Gruppen ihr Treiben fortsetzen. Auf dem Computer von „Don Antonio“ fanden sich detaillierte Informationen zu über fünfzig Morden, die Paramilitärs unter dem Befehl von „Jorge 40“ begangen hatten. Verbrechen, die nach dem Beginn des so genannten Demobilisierungsprozesses verübt wurden.

Geheimdienst im Dienste der Straflosigkeit
Zwischen August 2004 und 2006 veröffentlichten die Medien zahlreiche Berichte über die Unterwanderung des kolumbianischen Geheimdienstes DAS durch Paramilitarismus und Drogenmafia. Der „Departamento Administrativo de Seguridad“ (DAS) ist die staatliche Geheimdienstbehörde und ist dem Präsidenten direkt unterstellt. Rafael García, früherer Leiter der Informatikabteilung dieser Behörde, wurde am 27. Januar 2005 festgenommen und angeklagt. Im September 2004 war ans Licht gekommen, dass er während seiner damaligen Arbeit für den DAS Daten über Paramilitärs und Drogenhändler sowie Haftbefehle gegen diese gelöscht oder geändert hatte. Am 16. Dezember 2005 erklärte García gegenüber der Staatsanwaltschaft, dass sein Vorgesetzter, der damalige Leiter des DAS Jorge Noguera, enge Beziehungen zu den Paramilitärs habe und dass hohe Beamte des Geheimdienstes Listen von Gewerkschaftern, Studenten und Führern von sozialen Bewegungen an die bewaffneten Gruppen weitergegeben hätten – Personen, die später ermordet wurden. Außerdem habe der DAS einen Wahlbetrug mit vorbereitet, der später die Wahl einiger Kongressabgeordneter im Jahr 2002 und etwa 300.000 Wählerstimmen zu Gunsten von Präsident Uribe ermöglichte. [1] Bei seiner Aussage vor dem Obersten Gerichtshof im November 2006 gestand García zum ersten Mal, ein Mitglied der Paramilitärs gewesen zu sein. [2] Am 15. November 2006 erhob die Disziplinarstaatsanwaltschaft als staatliches Kontrollorgan Anklage gegen Jorge Noguera und den ehemaligen Chef des DAS, Giancarlo Auque de Silvestre. Die Anklagen beziehen sich auf die Verbindungen zwischen der Führungsebene des DAS und den paramilitärischen Gruppen, auf Korruption und auf die Zusammenarbeit des staatlichen Geheimdienstes mit diesen Gruppen bei deren kriminellen Handlungen. Währenddessen befand sich Noguera in Mailand, wo er das Amt des kolumbianischen Konsuls bekleidete – designiert vom Präsidenten Álvaro Uribe, nachdem Noguera seine Tätigkeit beim DAS beendet hatte.

Der Skandal wird endlich zum Skandal
Der Artikel „Die Beweise sprechen für sich“, am 11. November 2006 in der Zeitschrift „Semana“ [3] veröffentlicht, beschreibt wie der Oberste Gerichtshof die Rolle der Politiker des Departments Sucre beim Aufbau der paramilitärischen Gruppen aufdeckte. Es handelt sich dabei nicht nur um schlichte Verbindungen zwischen Politikern einer bestimmten Region und illegalen bewaffneten Gruppen, sondern um die aktive Beteiligung von Abgeordneten des Repräsentantenhauses und des Senats bei der Bildung dieser Gruppen. Mehrere dieser Politiker sind heute im Gefängnis. Gegen einen von ihnen, Senator Álvaro García Romero, laufen Untersuchungen wegen Bildung paramilitärischer Gruppen und Beteiligung an deren Verbrechen. 16 Jahre lang war er Abgeordneter des kolumbianischen Kongresses. Unter den Beweisen, über die der Oberste Gerichtshof gegen mehrere hochrangige kolumbianische Politiker verfügt, befindet sich der Mitschnitt eines Treffens im Januar 2006, den man auf dem Computer von „Jorge 40“ fand. An diesem Treffen nahmen vier Abgeordnete aus Sucre und weitere Politiker aus der Region teil sowie mehrere Paramilitärs der mittleren Befehlshierarchie des nördlichen Blocks der Paramilitärs. Die Zeitschrift „Semana“ berichtet, die Aufnahme erbringe „den Beweis, dass ein großer Teil der politischen Klasse dieses Departments seit Jahren mit den Paramilitärs verbunden ist.“

Die jüngsten Berichte sprechen von insgesamt neun Mitgliedern des kolumbianischen Kongresses, gegen die der Oberste Gerichtshof ermittelt. Drei von ihnen sind im Gefängnis. Obgleich mehrere der Parlamentarier Parteien angehören, die dem Präsidenten Uribe nahe stehen war dieser sehr zurückhaltend hinsichtlich einer Distanzierung von ihnen. Erst mehrere Wochen nach Aufdeckung des Skandals verlangte er, dass alle Politiker mit Verbindungen zu den Paramilitärs dies offen legen. Doch ist das die wirksamste Maßnahme, die dem Staatspräsidenten zur Verfügung steht, um für Aufklärung zu sorgen?

Das Neue Variationen eines alten Themas
Am 15. Juli 2003 unterzeichneten die Regierung Uribe und die paramilitärischen „Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens“ (AUC – Autodefensas Unidas de Colombia) das Abkommen von Santa Fe de Ralito [4] und nahmen damit offiziell Verhandlungen auf. Die Paramilitärs verpflichteten sich dazu, all ihre Angehörigen zu demobilisieren; im Gegenzug sicherte die Regierung die Reintegration der Demobilisierten in das zivile Leben zu. [5]

Die Paramilitärs stehen auf den Listen der terroristischen Vereinigungen der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten. Seit vielen Jahren klagen Menschenrechtsorganisationen in ihren Berichten die Verbindungen zwischen dem Militär, Beamten und Paramilitärs an, so zum Beispiel amnesty international oder Human Rights Watch, bis hin zum Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission legte die Rolle des kolumbianischen Staates beim Entstehen der paramilitärischen Gruppen dar. [6]

Der Begriff Paramilitarismus steht im Zusammenhang mit der Politik der Aufstandsbekämpfung und geht zurück auf die Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Das Thema Para-Politik ist nichts Neues, sehr wohl aber die Stichhaltigkeit der aktuellen Beweise, die umfangreiche Berichterstattung in der Presse sowie die wichtige Rolle, die dieses Medium spielt. Zu den bemerkenswertesten Beweisen gehören jene, die sich auf dem Computer von „Jorge 40“ fanden. Sie befördern ein altes Thema wieder an die Oberfläche: die Verbindungen zwischen der Regierung und den Paramilitärs. Genau wegen dieser so engen Beziehung zwischen diesen beiden Parteien lehnen Organisationen der kolumbianischen Zivilgesellschaft den so genannten Prozess der Demobilisierung der paramilitärischen Gruppen in seiner jetzigen Form ab, ebenso wie den juristischen Rahmen, in dem er stattfindet. Die Mitverantwortung von Staatsbediensteten wird durch den Prozess eher verschleiert als dass sie aufgedeckt würden. In einem Bericht von Human Rights Watch [7] wird daran erinnert, wie Militärberater der Vereinigten Staaten in den Sechzigerjahren empfahlen, „ziviles und militärisches Personal für eine Geheimausbildung für Widerstandsoperationen auszuwählen, für den Fall, dass man sie in Zukunft benötigt.“ Die nordamerikanischen Berater schlugen weiterhin vor, dass die so geschaffenen Strukturen „für Gegenspionage und Gegenpropaganda genutzt werden sollten und, falls nötig, um paramilitärische Sabotage- oder Terrorismusaktionen gegen bekannte Verteidiger des Kommunismus durchzuführen. Dies muss von den Vereinigten Staaten unterstützt werden.“ Die Informationen, die den gegenwärtigen Skandal ausgelöst haben, verleihen diesem Thema neue Aktualität, das seit vielen Jahren bezeichnend ist für das Phänomen des Paramilitarismus in Kolumbien und in anderen Ländern dieser Welt.

Diese Geschichte dürfte wohl nicht mit den Enthüllungen enden, die hier beschrieben werden. Es scheint ein günstiger Moment dafür zu sein, dass endlich die Wahrheit über die Beziehung zwischen Paramilitärs und kolumbianischem Staat ans Licht kommen. Die Enthüllungen, die momentan hauptsächlich eine Region des Landes betreffen, sind sicherlich nur die Spitze des Eisbergs. Sie lassen aber ahnen, welch systematische Verbindungen es zwischen Politikern sowie staatlichen Institutionen im ganzen Land und dem Paramilitarismus gibt. Der Optimismus könnte jedoch jäh enttäuscht werden, wenn die kolumbianische Justiz ihre Ermittlungen nicht konsequent weiterführt. Und wenn die internationale Gemeinschaft sich taub und blind stellt und nicht endlich eine aktivere Rolle spielt. Sie muss einfordern, dass Menschenrechte und internationales humanitäres Recht respektiert werden und dass das Recht Vorrang erhält vor einer Willkürherrschaft der Gewalt und der Korruption.

 

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1. Siehe: http://www.revistacambio.com/html/portada/articulos/4647/

2. Siehe: http://www.semana.com/wf_InfoArticulo.aspx?IdArt=98535

3. http://www.semana.com/wf_InfoArticulo.aspx?IdArt=98170 o en http://www.derechos.org/nizkor/corru/doc/sucre3.html

4. Nombre de la población en el departamento de Córdoba, en la costa atlántica colombiana, en donde se realizaron las negociaciones entre el Gobierno y los paramilitares.

5. Siehe: http://www.altocomisionadoparalapaz.gov.co/g_autodefensa/dialogos.htm

6. Report on the Demobilization Process in Colombia, Inter-American Commission on Human Rights, December 2004, http://www.cidh.org/countryrep/Colombia04eng/toc.htm

7. Siehe: http://www.hrw.org/spanish/informes/1996/colombia2.html#historia