DEUTSCHLANDS UND KOLUMBIENS ENERGIEWENDE: ALTE WUNDEN UND GRÜNER EXTRAKTIVISMUS  

Kolumbiens Energiesektor ist im Aufbruch: Fossile Energien sollen zurückgefahren, Wind- und Solarkraft stark ausgebaut werden. Das birgt Chancen für Klimaschutz und Entwicklung – zugleich drohen neue Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen, insbesondere im Bergbau. Denn die Regierung setzt neben dem Export von grünem Wasserstoff auch auf den Abbau kritischer Rohstoffe für die globale Energiewende. Der Umgang mit den Ewigkeitskosten des jahrzehntelangen Steinkohleexports ist dabei noch immer ungelöst. Dafür und auch für Schäden, die bei der Beschaffung von Rohstoffen für die grüne Wende entstehen, müssen deutsche Energieunternehmen und die Bundesregierung Verantwortung übernehmen.

Kolumbien produziert bereits heute fast 70 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Quellen, vor allem aus Wasserkraft. Die Energiewende soll nun auch im stark von Fossilen abhängigen Rohstoffsektor greifen: die Vergabe neuer Förderlizenzen für Steinkohle und Öl hat die Regierung ausgesetzt, (1) Fracking will sie verbieten.(2) In den Steinkohlerevieren La Guajira und Cesar soll ein umfassender Strukturwandel stattfinden. Gleichzeitig sollen massiv Schlüsselrohstoffe für die Energiewende produziert werden – vor allem sogenannte transition minerals und grüner Wasserstoff.

Deutschland und Kolumbien arbeiten im Energiesektor eng zusammen. Das Dach dafür bildet eine 2023 geschlossene und mit bis zu 200 Millionen Euro ausgestattete Klima- und Energiepartnerschaft.(3) In deren Rahmen unterstützt die Bundesregierung auch Strukturwandel- und Wasserstoffprojekte.

Steinkohle: menschenrechtskonformer Strukturwandel im kolumbianischen Kohlerevier

Deutschland hat seit 2004 über 110 Millionen Tonnen Steinkohle aus Kolumbien importiert. 2024 kamen noch immer 13 Prozent der Gesamteinfuhren aus Kolumbien (insgesamt 2,9 Millionen Tonnen).(4) Die vier größten Importeure, EnBW, Uniper, Steag und RWE, wollen bis 2030 aus der Kohleverstromung aussteigen. Auch in Kolumbien werden absehbar die für den Export bedeutendsten Tagebaue schließen. In Cesar schloss Glencore-Prodeco bereits 2021 seine beiden Minen; die Konzessionen der fünf Tagebaue von Drummond und CNR laufen Ende der 2030er Jahre aus. In La Guajira endet 2034 die Lizenz von Cerrejón – dem von Glencore betriebenen und mit einer Fläche von 69.000 Hektar größten Tagebau Lateinamerikas. Die bisher bekannten Schließungspläne sind aus Sicht von Betroffenen und Zivilgesellschaft jedoch unzureichend.

Bereits heute sind die Folgekosten des jahrzehntelangen Kohleabbaus für Menschen und Umwelt enorm: ausgetrocknete und vergiftete Flüsse, Wassermangel, Gesundheitsschäden, Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen, Einschüchterungen und Morde an Menschenrechtsverteidiger*innen oder die Verletzung der Rechte indigener Völker und afrokolumbianischer Gemeinschaften (siehe Factsheet „Steinkohle“ der MRKK von 2022).

Eine wirklich gerechte Energiewende erfordert menschenrechtskonforme, von den Unternehmen finanzierte Tagebauschließungen mit Entschädigungen für irreparable Schäden, die aktive Beteiligung der Betroffenen – wie vom Verfassungsgericht Kolumbiens Anfang 2025 im Fall der Glencore-Prodeco-Minen angeordnet – sowie wirksame Strukturwandelmaßnahmen, die alternative Einkommensquellen schaffen, Ökosysteme renaturieren und soziale und ökologische Ungleichheiten beheben. Da- ran müssen sich deutsche Energieunternehmen, aber auch die Bundesregierung beteiligen, denn sie tragen durch den jahrzehntelangen Kauf der Kohle Mitverantwortung für die Schäden.

Kritische Mineralien: Schlüssel zur Energiewende, Gefahr für Menschenrechte

Die Widersprüche der Rohstoff- und Energiespolitik in Kolumbien zeigen sich besonders deutlich im Bergbau. Seitdem das Oberste Verwaltungsgericht 2022 anordnete, dass Genehmigungen erst vergeben werden dürfen, wenn eindeutig Schutzgebiete ausgewiesen sind, in denen kein Bergbau stattfinden darf, hat die Regierung die Vergabe von Schürfkonzessionen weitgehend gestoppt. Dennoch setzt sie weiter stark auf Abbau und Export von Rohstoffen – insbesondere solcher, die dringend für die Energiewende benötigt werden. 17 Mineralien wurden als von „strategischem Interesse“ definiert.(5) Dazu gehören Kupfer, Nickel und Zink, deren Förderung bereits auf fast 1,3 Millionen Hektar Land genehmigt wurde.(6)

Der Abbau kritischer Mineralien geht häufig mit Menschenrechtsverletzungen und massiver Umweltverschmutzung einher. Viele Minen befinden sich auf dem Land indigener Völker, afrokolumbianischer oder kleinbäuerlicher Gemeinschaften oder in Naturschutzgebieten, in denen bewaffnete Gruppen starke territoriale und soziale Kontrolle ausüben. Oft sind Gewaltakteure auch direkt in den Bergbau involviert: Sie kontrollieren Abbau und Transport, bewachen die Minen, profitieren von Gewinnen und schüchtern Kritiker*innen ein. Immer wieder werden Gemeinschaften für Bergbau von ihrem Land vertrieben. Konsultations- und Zustimmungsrechte ethnischer Gruppen werden von Bergbau-Unternehmen regelmäßig ignoriert. Zudem gibt es zahlreiche Berichte über Umweltverschmutzung, etwa durch das Verklappen toxischer Substanzen wie Quecksilber. Vielfach dokumentiert wurden Schäden für die beiden einzigen aktiven Kupferminen El Roble in Chocó (7) und Quebradona in Antioquia (8) sowie für die größte Nickel-Mine Lateinamerikas, Cerro Matoso in Córdoba.(9)

Erneuerbare und Wasserstoff: Unverzichtbar für Klimaschutz, Treiber von Landkonflikten

Der Ausbau von Solar- und Windkraft steht im Zentrum der Energiewende Kolumbiens. Bisher sind allerdings nur rund 100 Solar- und zwei Windparks in Betrieb gegangen. Über 1.000 weitere Photovoltaik- und 75 Windkraft-Projekte (10) sind geplant. Für die lokale Bevölkerung schaffen die Vorhaben verhältnismäßig wenige dauerhafte Arbeitsplätze. Zudem gehen sie häufig mit Land-, Sozial- und Umweltkonflikten einher. Bei 21 von derzeit 57 On- und Offshore-Windkraftprojekten in La Guajira traten bereits solche Konflikte auf.(11)

Wind- und Solarparks werden auch für die Produktion von grünem Wasserstoff gebaut, dessen Herstellung große Mengen von Energie aus erneuerbaren Quellen erfordert. Kolumbien plant, das „grüne Gold“ ab 2030 auf industriellem Niveau zu exportieren. Die Karibik-Region und vor allem La Guajira gelten als besonders geeignet für die Wasserstoffproduktion.(12) Gleichzeitig gelten seit 2021 Wasserstoffprojekte als von „öffentlichem Nutzen und gesellschaftlichem Interesse“.(13) Sind Projekte so klassifiziert, kann das für Solar- und Windparks notwendige Land schneller enteignet werden. In der Vergangenheit hat dies wie derholt zu Vertreibung und illegaler Landaneignung geführt.

Laut Bundesregierung muss Deutschland ab 2030 mindestens die Hälfte der Menge grünen Wasserstoffs importieren, der notwendig wäre, um die bisher angestrebte Energiewende zu schaffen. Dafür ist Kolumbien ein wichtiger Partner: Zwar existiert bisher kein Kooperationsvertrag, aber eine hochrangige Steuerungsgruppe beider Regierungen koordiniert gemeinsame Wasserstoffprojekte. Zudem unterhält die deutsche Botschaft ein eigenes Wasserstoff-Büro.

Mit Programmen wie H2Uppp, H2Global oder PtXHub subventioniert die Bundesregierung außerdem Projekte deutscher Unternehmen und arbeitet über die GIZ an der Zertifizierung grünen Wasserstoffs mit. Inwieweit die Subventions- und Zertifizierungsprojekte reguliert sind, ist nicht bekannt. Klar ist: Ohne eindeutige menschenrechtliche Vorgaben und Sanktionsmöglichkeiten drohen Wasserstoffprojekte neue Konflikte zu schüren.(14) 

WIR EMPFEHLEN DER BUNDESREGIERUNG UND DEN MITGLIEDERN DES BUNDESTAGS

  • aus Verantwortung für die jahrzehntlangen Kohleimporte Deutschlands Kolumbien bei Energiewende, Klimaschutz und Klimawandelanpassung zu unterstützen, etwa über Umschuldung oder Beteiligung an den Ewigkeitskosten der Kohleförderung;
  • mit Mitteln der Klima- und Energiepartnerschaft einen Strukturwandel Fonds einzurichten, der ausschließlich zur Wiedergutmachung von Schäden und zur Finanzierung von Strukturwandel in den direkt vom Kohlebergbau betroffenen Gemeinschaften dient;
  • zu gewährleisten, dass die Sorgfaltspflichten von Unternehmen für Menschenrechte für die gesamte Wertschöpfungskette rechtsverbindlich festgeschrieben bleiben, einschließlich der Verpflichtung zu Gegenmaßnahmen und Wiedergutmachung sowie wirksamen Sanktionen bei Verstößen, umfassenden Klagemöglichkeiten, der Beteiligung von Betroffenen sowie dem Herstellen von Transparenz über die Einhaltung der Sorgfaltspflichten;
  • die deutschen Behördentechnisch,personell und finanziell aus reichend auszustatten, um die Einhaltung der Sorgfaltspflichten zu prüfen;
  • für jegliche Energie- und Rohstoff-Kooperationen mit Kolumbien, ganz besonders bei kritischen Rohstoffen, verbindliche Menschenrechtsstandards einschließlich der ILO-Konvention 169 über die Rechte Indigener Völker festzuschreiben. Öffentliche Exportbürgschaften und Subventionen müssen an verbindliche Menschenrechtsvorgaben geknüpft werden;
  • die Regierung Kolumbiens aufzufordern, sicherzustellen, dass (1) Gerichtsurteile zum Schutz Betroffener bei Energie- und Rohstoffprojekten durchgesetzt werden, (2) Unternehmen umfassend Menschen- und Umweltrechte einhalten und Verstößen unabhängig und zügig nachgegangen wird und (3) durch den Steinkohleabbau in La Guajira und Cesar verursachte Schäden an Menschen und Umwelt ganzheitlich behoben und Betroffene umfassend an der Erarbeitung von Schließungsplänen für die Tagebaue beteiligt werden.
  1. Portafolio (02.06.2025): Colombia, único país de la región que no ha firmado nuevos contratos entre 2023 y 2025.
  2. Cambio Colombia (22.07.2025): Gobierno radica con mensaje de urgencia proyecto de ley para prohibir el ‘fracking’ en Colombia.
  3. BMZ (16.06.2023): Pressemitteilung.
  4. Statistisches Bundesamt (24.06.2025): Einfuhr von Steinkohle.
  5. Agencia Nacional de Minería (ANM), Resolution Nr. 1006 vom 30.11.2023.
  6. Unidad de Planeación Minero-Energética (UPME), Plan Nacional de Desarrollo Minero 2024 – 2035, Anexo 4 (Minerales Estratégicos).
  7. SIEMBRA (März 2025): Bericht zu El Roble.
  8. Business & Human Rights Resource Centre (April 2023): Bericht zu transition minerals .
  9. Germanwatch, HBS und PAS (November 2020): Bericht zu Cerro Matoso.
  10. Unidad de Planeación Minero-Energética, UPME (02.04.2025): Registro de Proyectos de Generación de Electricidad; La República (29.04.2025): En 2040, los proyectos eólicos costa afuera generarán 5,1 GW, 2 GW más del objetivo; El Espectador (02.02.2025): Estos son los parques solares más grandes de Colombia; The Wind Power (April 2025): Wind farm database Colombia.
  11. Indepaz (Februar 2023): Analyse zu 57 Windpark-Projekt in La Guajira.
  12. Fraunhofer ISE (September 2024): Studie zur Produktion grünen Wasserstoffs in Kolumbien.
  13. Utilidad pública e intéres social. Gesetz 2169 vom 22.12.2021, Art. 30.
  14. Indepaz (Oktober 2024): Fallstudie zu Umweltkonflikten bei Wasserstoffprojekten in La Guajira.