In der Gemeinde El Hatillo geschah zunächst nichts, der Prozess kam nicht voran. Aus der Gemeinschaft stellten sich elf Personen zur Verfügung, um das Verhandlungskomitee der Gemeinschaft zu bilden. Dieses handelte dann mit den drei Minenbetreibern und dem Operator die konkreten Umsiedlungsbedingungen aus. Das Verhandlungskomitee wurde von der kolumbianischen NGO Pensamiento y Acción Social, von der Arbeitsgruppe Schweiz Kolumbien sowie einige Jahre lang von freiwilligen Einsatzleistenden von Comundo begleitet und beraten. Es stand jedoch Dutzenden von „sogenannten Fachpersonen” des Operators gegenüber. Der Verhandlungsprozess stellte eine enorme Belastung für das Verhandlungskomitee dar: Es gab wöchentliche Sitzungen und Verhandlungsrunden, und es mussten umfangreiche technische und juristische Dokumente studiert werden. Es bestand ein enormes Wissens- und Machtgefälle. Die Methodik des Operators war dem Bildungsniveau der Gemeinschaftsvertreter nicht angepasst. Zudem wurden erzielte Vereinbarungen nicht korrekt paraphiert und abgesegnet. Über Jahre hinweg wurden immer wieder dieselben Themen diskutiert. Der Verhandlungsprozess war äußerst zäh und ermüdend. Die Mitglieder des Verhandlungskomitees gelangten an ihre Belastungsgrenzen und erhielten Todesdrohungen. Die Ursachen und die Täter dieser Drohungen wurden jedoch nie wirklich aufgeklärt.
Nach über sechs Jahren Verhandlungen wurde im Jahr 2018 der Umsiedlungsaktionsplan verabschiedet – sechs Jahre nach Ablauf der ursprünglichen Umsiedlungsfrist. Dieser rechtsverbindliche Plan regelt die Ansprüche der umzusiedelnden Haushalte, den Wert der Entschädigungen und den Aufbau eines neuen Dorfes mit ausreichend Land. Vor allem der Kauf eines geeigneten Landstücks, um das neue Hatillo aufzubauen, stellte sich jedoch als sehr schwierig heraus und die Umsetzung des Plans verlief äußerst schleppend. Die Corona-Pandemie verzögerte den Prozess weiter. Im Februar 2021 erklärte Glencore – Prodeco schließlich, dass das Unternehmen die Minenkonzessionen dem Staat zurückgeben werde. Schlussendlich erklärte Colombian Natural Resources Zahlungsunfähigkeit, wodurch die Gelder im Treuhandfonds blockiert wurden und der Prozess zum Stillstand kam. Die Umweltbehörde schlug als Lösung individualisierte Arbeitspläne für jedes der drei Unternehmen vor, sodass diese unabhängig voneinander ausgeführt werden können und der Prozess somit wieder in Gang gesetzt wird. In Verhandlungen mit der Umweltbehörde konnten die drei Unternehmen jedoch durchsetzen, dass diese individualisierten Arbeitspläne nur mit individuellen Umsiedlungen, Haushalt für Haushalt, und nicht als kollektive Umsiedlungen umsetzbar sind. Zuvor hatten die Unternehmen angegeben, dass der kollektive Umsiedlungsprozess noch acht Jahre dauern könnte. Im Dezember 2022 optierten 169 der 201 Familien für eine individuelle Umsiedlung und 32 Familien für eine kollektive Umsiedlung. Nachdem die Umweltbehörde ANLA mit der Resolution 00317 vom 21. Februar 2023 die Individualisierung der kollektiven Umsiedlung akzeptiert hatte, entschieden sich auch die 32 Familien für die individuelle Umsiedlung, da dies laut Glencore schneller geht und ihnen ausreichende Garantien für eine würdevolle Existenz bietet. Seit den Unternehmen die individuellen Umsiedlungen durchgesetzt haben, geht es tatsächlich plötzlich relativ schnell. Bald wird die letzte Familie El Hatillo verlassen. Damit werden die Gemeinschaft El Hatillo, ihre Kultur, ihre Geschichte und ihre sozialen Netzwerke verschwinden. Das Multimedia-Projekt „Memorias de Tierra” der kolumbianischen NGO Chasquis ist ein Beitrag, um die Erinnerung an El Hatillo wachzuhalten.
Gegenüber einer kollektiven Umsiedlung hat die individuelle Umsiedlung jedes Haushalts einzeln viele Nachteile, da die umfassenderen Garantien der Umsiedlung in der Gemeinschaft fehlen. Die Familien siedeln in benachbarte Dörfer oder sogar in weiter entfernte Städte um, wo sie keine sozialen Netzwerke haben und sich eine neue Existenz aufbauen müssen. Die einkommensgenerierenden Projekte, die zusammen mit dem Betreiber erarbeitet werden, erzielen oft kein ausreichendes, nachhaltiges Einkommen. Beispielsweise ist am neuen Ort die Konkurrenz sehr groß (es gibt schon viele Schönheitssalons oder Taxis) und es fehlt an Kundschaft. Man muss sich erst bekannt machen oder das Projekt ist zu klein dimensioniert, um Gewinn zu erwirtschaften. Mehrere solcher Projekte sind bereits gescheitert. Vor allem aber bedeutet es für die drei Minenunternehmen eine große Ersparnis, da sie weder ein großes Landstück kaufen noch die Infrastruktur eines ganzen Dorfes aufbauen müssen. Die Unternehmen behaupten heute, die Gemeinschaft selbst habe individuelle Umsiedlungen gewünscht und sie hätten alle Umsiedlungsverpflichtungen erfüllt. Tatsache ist, dass die Gemeinschaft durch die widerwärtigen Umstände gezwungen wurde, individuelle Umsiedlungen zu akzeptieren. Entgegen den ursprünglichen staatlichen Anordnungen und dem rechtsgültigen Umsiedlungsplan wurde die Gemeinschaft ausgelöscht. Das hatte für die Unternehmen keine schmerzhaften Sanktionen zur Folge.
Stephan Suhner
Input für den Rückblick und die Selbstreflexion aus Dienstreisen, Gesprächen mit Partnerorganisationen und eigenen Berichten vorbereiten.
Foto: Standbild aus dem Video
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