Kolumbien-aktuell No. 608 | November 2020

Die COVID-19-Situation scheint sich in Kolumbien langsam zu beruhigen, die Zahlen sind momentan sogar tiefer als in der Schweiz. Was sich nicht beruhigt, ist die Gewaltsituation. Diesen Monat gab es wieder neue Massaker, und ehemalige FARC-Kämpfer wurden ermordet, trotz des Protestmarsches, den die FARC im Stil der Minga letzten Monat nach Bogotá unternommen hatten. Obwohl […]

Die COVID-19-Situation scheint sich in Kolumbien langsam zu beruhigen, die Zahlen sind momentan sogar tiefer als in der Schweiz. Was sich nicht beruhigt, ist die Gewaltsituation. Diesen Monat gab es wieder neue Massaker, und ehemalige FARC-Kämpfer wurden ermordet, trotz des Protestmarsches, den die FARC im Stil der Minga letzten Monat nach Bogotá unternommen hatten. Obwohl sich in diesem Monat die Unterzeichnung des Friedensabkommens zum vierten Mal gejährt hat, ist der Prozess weiterhin stark von der Gewalt und dem fehlenden Willen der Regierung beeinträchtigt. Auch El Hatillo kämpft mit der schleppenden Umsetzung ihrer Umsiedlung. Prodeco als eine der drei verantwortlichen Firmen scheint die Verantwortung auf den Staat abzuschieben und es sind keine Massnahmen ihrerseits bekannt, welche die Lage in El Hatillo entschärfen würden. Auch wenn rechtlich der Prozess blockiert ist, hat Glencore Prodeco die Verpflichtung zu verhindern, dass durch den Unterbruch im Umsiedlungsprozess die Menschenrechte der Bevölkerung von El Hatillo weiter verletzt werden. Dies gilt insbesondere für den Verlust von Häusern mitten im Umsiedlungsprozess und für Einkommensgenerierung und Ernährungssicherheit. Die Respektierung der Menschenrechte darf nicht vom Geschäftsgang abhängig und nur eine Schönwetterpolitik sein. Deshalb braucht es die Konzernverantwortungsinitiative, damit klar vorgegeben ist, was für Sorgfaltspflichten Unternehmen zu erfüllen haben.

I.  Artikel

Vier Jahre seit der Unterzeichnung des kolumbianischen Friedensabkommens: Verschlechterung der humanitären Situation und Stagnierung des Umsetzungsprozesses

Am 24. November jährt sich die Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC im Teatro Colón in Bogotá zum vierten Mal. Die Unterzeichnung sollte einen 52 Jahre dauernden Konflikt beenden, der mehr als 8 Millionen Opfer hinterlassen hat. Das Abkommen war das Resultat einer vierjährigen Diskussion und beinhaltet Massnahmen um die strukturellen Ursachen des Konfliktes zu lösen und somit seine Wiederholung zu verhindern. Nach den ersten vier Jahren der Umsetzung ziehen wir eine Bilanz.

(Von Lisa Alvarado)

https://www.askonline.ch/themen/frieden/vier-jahre-seit-der-unterzeichnung-des-kolumbianischen-friedensabkommens-verschlechterung-der-humanitaeren-situation-und-stagnierung-des-umsetzungsprozesses

Umsiedlung von El Hatillo unterbrochen – Rechtsverletzungen und Hungerkrise drohen

Am 23. Oktober 2020, morgens um 7 Uhr startete die Gemeinschaft von El Hatillo eine Protestaktion gegen die verschleppte Umsetzung des Aktionsplanes für die Umsiedlung, in dem sie die Zugslinie blockierten. Im November 2018, nach fast acht Jahren Verhandlungen, wurde der Umsiedlungsaktionsplan verabschiedet. Die Umsetzung verzögerte sich jedoch immer wieder. So hatte die Gemeinschaft schon am 14. November 2019 eine Protestaktion gemacht und die Zugslinie blockiert. Grund für den erneuten Protest waren weitere Verzögerungen und nicht erfüllte Punkte.

(Von Stephan Suhner)

https://www.askonline.ch/allgemein/umsiedlung-von-el-hatillo-unterbrochen-rechtsverletzungen-und-hungerkrise-drohen

Warum Freiwilligkeit bei menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht nicht genügt

„Mein Mann bewirtschaftete einen Bauernhof, wir lebten dort mit unseren 6 Kindern, dem Bruder meines Mannes und mehreren seiner Söhne. Um halb fünf Uhr morgens am 8. September 2000 traf eine Gruppe bewaffneter Männer auf dem Bauernhof ein. Die bewaffneten Männer versammelten alle Männer auf dem Bauernhof und ermordeten sie. An diesem Tag verlor ich meinen Mann und zwei Söhne.“

Gloria Navarro Amaya und ihre Familie aus San Diego in der kolumbianischen Bergbauregion Cesar sind nur einige von Tausenden Opfern paramilitärischer Gewalt, die über diese kohlereiche Region Kolumbiens hinweggefegt sind. Zwei Kohlebergbauunternehmen sollen in die Gewalt verwickelt gewesen sein, und es gibt Hinweise darauf, dass sie davon profitiert haben. Prodeco-Glencore ist eines dieser Unternehmen.
(Von Von Joris van den Sandt, PAX for Peace, und Stephan Suhner, ask!)
https://www.askonline.ch/allgemein/warum-freiwilligkeit-bei-menschenrechtlicher-sorgfaltspflicht-nicht-genuegt
https://www.askonline.ch/allgemein/weshalb-freiwillige-menschenrechtsinstrumente-fuer-konzerne-nicht-genuegen-und-es-die-kvi-braucht

https://www.paxforpeace.nl/our-work/programmes/mining-and-conflict-in-colombia

II. Apropos

Vernichtungskampagne gegen Colombia Humana?

Die politische Bewegung Colombia Humana hat eine gegen sie gerichtete Vernichtungskampagne angeprangert. Dies vor allem, weil im Oktober innerhalb von drei Wochen drei wichtige Aktivisten der Colombia Humana in verschiedenen Regionen Kolumbiens ermordet worden sind. Zudem haben die paramilitärischen AGC in der Guajira und in Sucre Pamphlete zirkulieren lassen, wo sie mit einem «Ausrottungsprozess der Kommunisten und Mitglieder der Colombia Humana» drohen. Laut Gustavo Petro, Senator und prominentestes Mitglied der Colombia Humana, agierten die AGC in Zusammenarbeit mit einer Gruppe an Generälen, lokalen Unternehmern und Parlamentariern der Ultrarechten (Centro Democratico).

https://amerika21.de/2020/11/245164/ausrottungsplan-colombia-humana

Alvaro Uribe Velez weiterhin angeklagt:

Am 6. November hat ein Richter des Bezirksgerichts von Bogotá entschieden, dass Alvaro Uribe weiterhin angeklagt bleibt. Nachdem sein Fall vom Obersten Gerichtshof (corte suprema) an die  Staatsanwaltschaft (fiscalía) übergeben wurde, weil er als Senator zurücktrat und somit nicht mehr unter die Verantwortung des Obersten Gerichtshof fiel, bestand die Hoffnung unter seinen Anhängern und Verteidigern, dass die Klage gegen ihn fallen gelassen würde. Dies ist jetzt aber offenbar nicht der Fall. Was jetzt als nächstes entschieden wird, ist ob Uribe wieder in Untersuchungshaft soll oder nicht. Die Staatsanwaltschaft hat 90 Tage Zeit um zu entscheiden, ob sie eine Untersuchungshaft beantragen will oder nicht. Das Gericht wird aber auch den Opfern die Möglichkeit lassen, eine Untersuchungshaft zu beantragen. Das bisher einzige anerkannte Opfer in diesem Prozess ist der Senator Ivan Cepeda, dessen Anwalt noch offen liess, ob sie eine Untersuchungshaft beantragen werden oder nicht. Weiter hat die Staatsanwaltschaft auch 90 Tage Zeit zu entscheiden ob sie einen Prozess gegen Uribe führen will oder einen Antrag auf Ausschluss stellen. Wenn die Staatsanwaltschaft der Ansicht ist, dass es keinen Grund gibt, den ehemaligen Präsidenten vor Gericht zu stellen, und dass die Untersuchung eingestellt werden sollte, muss sie vor Gericht solide Argumente vorbringen, um den Fall auszuschließen. Wenn der erstinstanzliche Richter mit der Staatsanwaltschaft übereinstimmt, können die Opfer zur Überprüfung der Entscheidung zum Obersten Gericht von Bogotá gehen.

https://www.elespectador.com/noticias/judicial/expresidente-uribe-quedo-formalmente-investigado-que-viene-para-su-caso/?fbclid=IwAR0fYVcVEyT2mjcz1xVohLVXQ0VhZq-tdaOVm2DjJ6GQulW568cSS-ZTvzQ

Operation Santrich:

Laut einem Artikel des El Espectador haben die Drogenbehörde der USA (DEA) und die kolumbianische Staatsanwaltschaft zwischen 2017 und 2018 an einer verdeckten Operation gegen die damaligen Friedensdelegierten der FARC Jesús Santrich und Iván Márquez gearbeitet. Ziel war, den beiden Drogenhandel anzulasten und auf diese Weise die Umsetzung des Friedensprozesses zu belasten. Die DEA und die Staatsanwaltschaft behaupteten, Santrich sei an einer Transaktion beteiligt gewesen, wo zehn Tonnen Kokain im Wert von 15 Millionen US-Dollar in Kooperation mit dem Sinaloa-Kartell aus Mexiko in die USA geliefert werden sollten. Diese Anschuldigung hatte zur Festnahme Santrichs’ im April 2018 geführt. Die JEP und der oberste Strafgerichtshof liessen Santrich aber mangels Beweisen wieder frei. Santrich prangerte damals den Bluff der DEA und der Staatsanwaltschaft an und folgte dann Iván Márquez in den Untergrund, wo sie zusammen die neue Guerilla-Struktur «Segunda Marquetalia» gründeten. Die Festnahme von Santrich im April 2018 wegen angeblichen Drogenhandels und die anschließende einjährige Debatte über seine Auslieferung an die USA hat die Umsetzung des Friedensvertrags ins Schwanken gebracht. GegnerInnen des Friedensprozesses erklärten Santrich und Márquez von vornerein für schuldig und führten eine Hetzkampagne gegen die Sonderjustiz für den Frieden, weil sie die Auslieferung des Ex-Kommandanten wegen mangelnder Beweise verweigerte. Prominent bei den Angriffen gegen die JEP waren Präsident Iván Duque, Ex-Präsident Álvaro Uribe und der damalige Oberstaatsanwalt Néstor Humberto Martínez. Dies ist ein weiterer eindeutiger Beweis, dass die kolumbianische Regierung kein Interesse hat an einer integralen Umsetzung des Friedensabkommens mit der FARC. Néstor Humberto Martínez soll nun Botschafter in Madrid werden, was ihn vor einer juristischen Aufarbeitung in Kolumbien vorderhand befreien würde. Vor allem spanische Menschenrechtsorganisationen protestieren heftig gegen diese Ernennung und fordern den spanischen Staat auf, die Akkreditierung von Martínez zu verweigern.

https://amerika21.de/2020/11/245370/taeuschung-dea-farc-kolumbien?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

https://www.elespectador.com/noticias/investigacion/los-audios-de-la-dea-y-la-fiscalia-que-le-negaron-a-la-jep-sobre-el-caso-santrich/

https://elpais.com/internacional/2020-11-19/grupos-de-derechos-humanos-de-colombia-piden-a-espana-que-rechace-al-candidato-a-la-embajada-de-ivan-duque.html?ssm=TW_CC

Erneute Massaker:

In der Nacht vom 21. auf den 22. November gab es zwei neue Massaker in Betania (Antioquia) und in Argelia (Cauca). In Betania wurden auf einer Finca sieben Kaffeeernter ermordet. Weitere drei Personen wurden nach Medellín ins Spital transferiert. Eine dieser drei Personen starb im Spital. Der Bürgermeister von Betania bestätigte später, dass die Kaffeeernter nicht aus der Region waren und es sich anscheinend um einen Streit um Drogenumschlagplätze handelte.

In Argelia wurden fünf Personen ermordet, darunter Libio Chilito, welcher Mitglied der Gemeinschaftsorganisation (JAC) war. Laut Indepaz sind es mit diesen zwei Massakern dieses Jahr insgesamt bereits 76.

https://www.elespectador.com/noticias/judicial/reportan-masacre-de-12-personas-en-betania-antioquia-y-argelia-cauca/?utm_source=Icommarketing&utm_medium=email&utm_content=El+Despertador+22-11-20&utm_campaign=Icommarketing+-+Suscripciones+-+El+Despertador+23-11-20

III.   Tipps und Hinweise

Abstimmung am Sonntag!

Diesen Sonntag kommt es endlich zur Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative KVI! Schweizweit liegt die Stimmbeteiligung aber erst etwa bei 30%. Bitte mobilisiert noch einmal die Menschen in eurem Umfeld, unbedingt abstimmen zu gehen und sich für die Menschenrechte einzusetzen! Das Ja zu dieser Initiative ist ein wichtiger Schritt, damit Grossunternehmen wie Glencore nicht weiterhin Mensch und Umwelt in anderen Ländern verachten dürfen!

Aktuelle Informationen zur Abstimmung unter

https://konzern-initiative.ch/?vgo_ee=2jYWBYEwdDY7iu7ZoK%2BFzljk1D0TzgMlIQtO1oPfyAM%3D

Kohlebergbau in Kolumbien und die Energiepolitik Deutschlands
3. Dezember 2020, Tübingen (TBC) / online 19:00 Uhr

Lerber Dimas Vasquez, Dozent für Antropologie an der Universidad De La Guajira, und Mitglied der Forschungsgruppe La Oraloteca. Aufgrund von Morddrohungen wegen seines Forschungsthemas (Menschenrechte) befindet er sich im Exil.
Nora Braun, Ethnologin. Sie hat zur Binnenvertreibung in Kolumbien promoviert. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind unter anderen der bewaffnete Konflikt und der Frieden in Kolumbien, Flucht und Migration nach Deutschland.
Stefan Ofteringer, Berater für Menschenrechte des Bischöflichen Hilfswerks Misereor. Er berät Partnerorganisationen des Hilfswerks bei ihrer Menschenrechtsarbeit und bei Informationsarbeit im System der Vereinten Nationen.
MdB Heike Hänsel, die Linke

**Die Teilnahme ist kostenlos**

Anmeldung hier   https://frama.link/Anmeldung_Registro

IV.   Lesenswerte Artikel

 

–       Wieder Vertreibung von indigener Gemeinde in der Guajira: https://www.npla.de/thema/urbanes-leben/wieder-vertreibung-von-indigener-gemeinde-in-la-guajira/

–       Audiovisuelle Darstellung der Geschichte des Paramilitarismus in der Region Bajo Atrato: https://rutasdelconflicto.com/especiales/nos-quitan-la-tierra/

–       31% der indigenen Territorien im Amazonasgebiet sind von Bergbau betroffen: https://amerika21.de/2020/11/245220/amazonas-indigene-territorien-bergbau?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

–       Interview mit Ivan Glasenberg zur KVI: https://www.nzz.ch/wirtschaft/glencore-ceo-wir-haben-ueberall-die-gleich-hohen-standards-ld.1586489

–       Glencore Bolivien: Glencore zieht gegen KVI vor Gericht: https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/wirtschaft/glencore-geht-gerichtlich-gegen-die-initianten-der-konzerninitiative-vor-ld.2067590

–       Hier die Studie von Public Eye: https://stories.publiceye.ch/glencorebolivien/

–       «Aguilas Negras» verteidigen die Unschuld von Alvaro Uribe: https://amerika21.de/2020/11/245626/paramilitaers-fuer-uribe-kolumbien?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

 

Redaktion: Lisa Alvarado

Stephan Suhner

ask! – Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien

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