Kolumbien-aktuell No. 610 | Januar 2021

Schon wieder hat ein neues Jahr begonnen. Vieles aus dem alten Jahr wird uns (leider) auch im 2021 weiter beschäftigen: Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen, Massaker, COVID-19, etc. Doch es gibt auch Neubeginn und Wandlungen. So nennt sich die ehemalige FARC-Partei neu ‘Comunes’, in einem Versuch, die Ära des Krieges hinter sich zu lassen und mit dem […]

Schon wieder hat ein neues Jahr begonnen. Vieles aus dem alten Jahr wird uns (leider) auch im 2021 weiter beschäftigen: Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen, Massaker, COVID-19, etc. Doch es gibt auch Neubeginn und Wandlungen. So nennt sich die ehemalige FARC-Partei neu ‘Comunes’, in einem Versuch, die Ära des Krieges hinter sich zu lassen und mit dem neuen Namen auch weitere Wählerkreise zu erreichen. Mit ihrer Aussage, eine Partei für die einfachen Leute zu sein, die sich für ein gerechtes Kolumbien und das Wohlergehen der einfachen Leute einsetzt, sollten sie grosse Teile der Bevölkerung ansprechen. Nicht so Duque. Eine grosse Koalition an Politikern und zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie Persönlichkeiten haben die Regierung in einem offenen Brief dazu aufgefordert, 9 Millionen Menschen ein Grundeinkommen zu bezahlen, damit sie mit den unmenschlichen Folgen der Pandemie fertig werden. Wir können nur hoffen, dass Duque dieses Jahr auch eine Wandlung durchmacht, endlich hinschaut und im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung handelt, und nicht bloss zugunsten einiger Weniger.

I.  Artikel

Weder Koka noch Dissidenzen tragen die alleinige Verantwortung

Fast jede Woche wurden letztes Jahr ehemalige FARC Mitglieder beerdigt. Seit Unterzeichnung des Friedensabkommens 2016 bis Ende 2020 wurden 250 Ex-FARC KämpferInnen ermordet. Die Morde haben auch nicht aufgehört, nachdem eine Delegation von Ex-FARC Mitgliedern nach Bogotá marschiert ist, um mit Duque über ihre Sicherheit zu diskutieren. Die Regierung sucht die Schuld gerne beim Kokaanbau bzw. Drogenhandel sowie Auseinandersetzungen mit dissidenten Gruppen. Laut einer Reportage von Cerosetenta  braucht es aber eine genauere Analyse der Situation, um die Ursachen für die Mordwelle genau zu verstehen.

(Von Lisa Alvarado)

https://www.askonline.ch/feature/weder-koka-noch-dissidenzen-tragen-die-alleinige-verantwortung

Hohe Manager von Drummond angeklagt, Paramilitärs finanziert zu haben

Der jetzige sowie der frühere Präsident der kolumbianischen Tochterfirma des US-Amerikanischen Kohleunternehmens Drummond werden von der kolumbianischen Justiz beschuldigt, Komplizen bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gewesen zu sein. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft dem jetzigen Präsidenten José Miguel Linares und dem früheren Präsidenten Augusto Jiménez in der Anklageschrift vom 17. Dezember 2020 vor, die paramilitärischen Vereinigten Selbstverteidigungskräfte AUC zwischen 1996 und 2001 unterstützt und finanziert zu haben. Bei den Tatvorwürfen handelt es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die nach kolumbianischem Recht nicht der Verjährung unterstehen.

(Von Stephan Suhner)

https://www.askonline.ch/allgemein/hohe-manager-von-drummond-angeklagt-paramilitaers-finanziert-zu-haben

Wasserverschmutzung und Bleibelastung im Tota-See

Um den bei Touristen beliebten Lago de Tota ist ein Streit um eine vermutete Bleibelastung entbrannt. Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft öffentlich machte, dass die Bleibelastung die Grenzwerte um bis das 95-fache übersteigen, hat die Verwaltungsaufsicht für Umweltbelange – unterstützt von Umweltorganisationen und einem Teil der Bewohner – eine Grundrechtsklage eingereicht, um die zuständigen Stellen zum Handeln zu zwingen. Die zuständige regionale Umweltbehörde Corpoboyacá scheint jedoch mehr die Gemeindeverwaltungen und die Wirtschaftsinteressen denn die Umwelt zu schützen.

(Von Stephan Suhner)

https://www.askonline.ch/themen/wirtschaft-menschenrechte/wasserverschmutzung-und-bleibelastung-im-tota-see

II.   Apropos

Der Weg zum kommerziellen Fracking in Kolumbien:

Duque hat nun tatsächlich all seine Wahlkampfversprechen bezüglich Fracking in Kolumbien in den Wind geschlagen und startet ein Pilotprojekt in der Region Magdalena Medio. Am 24. Dezember, während dem der Rest des Landes Weihnachten feierte, unterzeichnete die Nationale Behörde für Kohlenwasserstoffe (ANH) einen Vertrag mit Ecopetrol (halbstaatliches Öl-, Gas- und Kohleunternehmen) über 76 Mio. US-Dollar für die Umsetzung des Forschungsprojekts ‘Kalé’. Das Projekt soll in der Gemeinde Puerto Wilches (Departement Santander) im Becken des Magdalena-Flusses auf einer Fläche von 455 ha durchgeführt werden. Der Start ist für Mitte 2021 geplant. Der Hintergrund zu diesem Projekt ist, dass das Nationale Umweltforum im November 2020 beschlossen hatte, mit diesem Projekt Informationen zu sammeln, um zu entscheiden, ob Fracking im Interesse Kolumbiens sei. Dies aufgrund der Forderungen, die der Staatsrat 2019 gestellt hatte (siehe Newsletter 601 vom März 2020). Umweltverbände und grüne Politiker sehen in diesem Schritt die Ebnung des Weges für weitere solche Projekte und bezeichnen den Vertrag als «Todesurteil für die Ökosysteme». Auch die lokale Bevölkerung von Puerto Wilches ist empört über den Bruch des Wahlkampfversprechens von Duque und lehnt den Vertrag und Fracking als solches für Kolumbien mehrheitlich ab.

https://amerika21.de/2021/01/246646/regierung-ebnet-weg-fuer-fracking?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily 

Klage beim Schweizer Nationalen Kontaktpunkt der OECD gegen Glencore:

Am Dienstag, 19. Januar wurde eine Klage gegen die drei Mutterkonzerne von Cerrejón bei den Kontaktpunkten in Australien, England und der Schweiz eingereicht, sowie in Irland gegen das irische Elektrizitätsunternehmen ESB. Die Eingabe legt dar, wie das Kohleunternehmen Cerrejón, das zu gleichen Teilen Glencore, Anglo American und BHP gehört, die OECD Leitsätze zu Menschenrechten, Umwelt und Offenlegung von Informationen verletzt. Dies geschieht insbesondere durch die Umweltverschmutzung und die Zerstörung der Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung in der Guajira sowie durch schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen.

Die ask! unterstützt diese Eingaben, da wir seit vielen Jahren die betroffenen Gemeinschaften begleiten und durch öffentlichen Druck und Gespräche eine Verhaltensänderung von Cerrejón und Glencore erhofften. Da Cerrejón auch Urteile des kolumbianischen Verfassungsgerichts nicht umsetzt und weiterhin schönfärberisch behauptet, nur minimale Umweltauswirkungen zu verursachen, sehen wir in dieser Eingabe eine Chance, endlich positive Veränderungen für die betroffene Bevölkerung zu erreichen. Nach dem knappen Scheitern der KVI versuchen wir mit dem bestehenden Instrument der OECD Leitsätze für multinationale Unternehmen weiterzukommen.

https://www.askonline.ch/allgemein/eingabe-beim-schweizer-nationalen-kontaktpunkt-der-oecd-gegen-glencore

Verwicklung des Expräsidenten Virgilio Barco in den Genozid an der UP:

Laut einer Recherche von Alberto Donadio, welche auf dem Portal losdanieles.com veröffentlicht wurde, soll der ehemalige Präsident Virgilio Barco (1986-1990) und die damalige Militärführung eine entscheidende Rolle bei den Massenmorden an Mitgliedern der linken Partei UP gespielt haben. Dabei kommt Rafi Eitan, ein 2019 verstorbener israelischer Agent, der 1981 zum Antiterror-Beraterchef in Israel wurde, ins Spiel. Laut der Recherche kannten sich Barco und Eitan. An einem Treffen im Präsidentenpalast am 7. August 1986 soll Barco dazu angeregt haben, Eitan zu beauftragen, eine Strategie zur Vernichtung der Guerilla zu entwickeln. Bezahlt werden sollte Eitan über die staatliche Ölgesellschaft Ecopetrol. Eitan entwickelte daraufhin eine solche Strategie, welche die Vernichtung der Partei UP beinhaltete. Eitan erhielt den Auftrag zwar nicht, weil der Militärbefehlshaber fand, dies sei Aufgabe der kolumbianischen Armee und nicht eines ausländischen Kommandos. Doch bald darauf begann eine Mordwelle gegen Mitglieder der UP, welche inzwischen offiziell als politischer Genozid bezeichnet wird. Nach Angaben des Centro de Memoria wurden zwischen 1984 und 2002 über 4’000 Mitglieder der UP ermordet, entführt oder verschwinden gelassen. Wie Donadio schreibt, soll im Jahr 1987 der damalige Friedensbeauftragte in einer Regierungssitzung beklagt haben, dass jeden Tag Mitglieder der UP ermordet würden. Darauf soll der damalige Verteidigungsminister geantwortet haben, dass sie in diesem Tempo nie vernichtet würden.

Seit der Veröffentlichung des Artikels haben mehrere Politiker eine umfassende Aufklärung der Verwicklung des Staates in diesen Genozid verlangt. Darunter auch Iván Cepeda, Sohn des ermordeten UP-Kongressabgeordneten Manuel Cepeda, sowie Aída Avella, frühere Präsidentin der UP und jetzige UP-Kongressabgeordnete. Andererseits bezeichnet Exminister Rafael Pardo die Anschuldigungen gegen Barco als eine Schande und Ex-General Jaime Ruiz sieht das Ganze als Komplott gegen die kolumbianische Armee. In einem anderen Artikel auf LosDanieles kritisiert Enrique Santos Calderón diese Sicht auf den Fall als übertrieben und unerhört, schliesslich sei Barco auch derjenige gewesen, der die ersten Friedensprozesse mit der Guerilla angerissen hätte. Santos Calderón anerkennt aber auch, dass die Regierung Barco zu seiner Anfangszeit von der Terroroffensive des Medellín-Kartells überfordert wurde. Hoffnungen auf Wahrheit ruhen jetzt auf der JEP und der Wahrheitskommission, dessen Aufgabe es ist, den Fall aufzuklären.

https://losdanieles.com/enrique-santos-calderon/los-fantasmas-de-biden/

https://losdanieles.com/columnista-invitado/virgilio-barco-y-el-exterminio-de-la-up/

https://www.npla.de/thema/memoria-justicia/hat-expraesident-ermordung-tausender-up-mitglieder-befuerwortet/

https://www.contagioradio.com/barco-samudio-genocidio-de-la-up/

Impfstart in Kolumbien verzögert:

Von den 13 Ländern, die weltweit die meisten COVID-19-Fälle aufweisen, ist Kolumbien das einzige, das bisher noch nicht mit impfen begonnen hat. Da sich die Corona-Krise in Kolumbien wieder am verschlimmern ist, fordern nun 230 Organisationen und 600 Persönlichkeiten in einem offenen Brief, die Regierung solle schleunigst mit den Impfungen beginnen. Sie verlangen zudem eine Quarantäne ohne Hunger, was ein Grundeinkommen in Höhe des Mindestlohnes für neun Millionen Haushalte beinhaltet. Sie erklären sich «verwundert und besorgt», dass andere Länder schon vor Wochen mit den Impfungen begonnen haben, während Duque die Bevölkerung im Ungewissen lasse über Kaufverträge und Starttermin. Anfang Dezember kündigte Duque den Kauf von 40 Mio. Impfdosen an, die in den ersten Januarwochen geimpft werden sollten. Am 12. Januar teilte er dann aber mit, dass die ersten Einkäufe erst in den folgenden Tagen abgeschlossen und die Impfungen ab Februar durchgeführt würden. Davon soll laut Gesundheitsminister Fernando Ruiz eine Million Dosen von Pfizer kommen. Der Aufforderung, die Vereinbarungen mit Pharmakonzernen zu veröffentlichen kam Duque mit der Begründung nicht nach, er habe sich zu einer Schweigepflicht gegenüber den Firmen verpflichtet. Weiter kam durch eine Recherche des Leiters des Antikorruptionsinstituts, Camilo Enciso, Hinweise auf Korruption bei der Covid-Abteilung des Risikomanagements bei Katastrophen (UNGRD) ans Licht. Anscheinend wurden Aufträge für umgerechnet ca. 4.5 Mio. Franken für dubiose Ausgaben vergeben, einige davon an frühere Mitarbeiter von Miguel Uribe, Ex-Bürgermeisterkandidat für Bogotá der Regierungspartei Centro Democratico.

https://amerika21.de/2021/01/247177/noch-keine-impfstoffe-kolumbien?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

https://losdanieles.com/columnista-invitado/la-vacuna-del-delfin/

https://ail.ens.org.co/noticias/renta-basica-cuarentena-y-vacuna-las-peticiones-de-organizaciones-sociales-y-personalidades/

III. Tipps und Hinweise

Beitrag zur OECD-Klage gegen Glencore auf SRF

In einem kurzen Radiobeitrag in der Sendung «Trend» wird auf die Eingabe beim nationalen Kontaktpunkt der OECD eingegangen, welche die ask! mitträgt. Der Beitrag beruht auf einem Interview mit Stephan Suhner. Ab Minute 4:48 bis 9:46 in der Folge «Klima-Killer» Beton: Es geht auch anders.

https://www.srf.ch/audio/trend

Meinungstribunal über das politische Genozid und die Verbrechen gegen den Frieden in Kolumbien

Vom 25. bis 27. März 2021 findet in Kolumbien das dritte Meinungstribunal (Tribunal Permanente de los Pueblos) statt. Namhafte Persönlichkeiten werden dabei über das politische Genozid, die Straflosigkeit und die Verbrechen gegen den Frieden des kolumbianischen Staates urteilen.

https://coeuropa.org.co/tpp-colombia-2021/   

IV.          Lesenswerte Artikel

–       Verhandlungsdelegation der ELN weiterhin auf Kuba: https://amerika21.de/2021/01/247074/frieden-kolumbien-usa?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

–       Die verdeckte Rolle des Anwalts Diego Cadena im Fall Santiago Uribe: https://losdanieles.com/daniel-coronell/con-cierto-cadena/

–       Erneute Massakerdrohungen in El Salado: https://www.npla.de/thema/repression-widerstand/el-salado-erneut-im-visier-von-paramilitaers/

–       Die Partei FARC nennt sich neu ‘Comunes’: https://amerika21.de/2021/01/247291/farc-partei-kolumbien-neuer-name?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

–       Erster umfassendes Urteil der JEP über den Fall 001 (Entführungen) lässt die FARC in einem schlechten Licht: https://lasillavacia.com/demoledora-acusacion-jep-prueba-crueldad-las-farc-los-secuestrados-79923

–       Gewaltgeprägtester Jahresbeginn seit Unterzeichnung des Friedensabkommens: https://www.contagioradio.com/inicio-de-ano-mas-violento-desde-el-acuerdo-de-paz/

–       Verteidigungsminister Carlos Holmes Trujillo stirbt an COVID-19: https://www.elcolombiano.com/colombia/politica/muerte-de-carlos-holmes-trujillo-por-coronavirus-HC14525310

–       Alvaro Uribe weiterhin angeklagt: https://www.elespectador.com/noticias/judicial/caso-alvaro-uribe-declaran-improcedente-tutela-que-buscaba-volver-proceso-a-ceros/

 

Redaktion: Lisa Alvarado